© Eric Fricke
Mit der Sense
aufs Finanzamt
In
der Steinzeit, Freunde und Nachbarn, betrug die wöchentliche Arbeitszeit
ungefähr zwanzig bis dreißig Stunden. Das stand in einem wissenschaftlichen
Artikel, den ich vor längerer Zeit einmal gelesen habe. Das klingt plausibel,
denn wie hätte eine Menschheit, die sich rund um die Uhr im Kampf um die
nackte Existenz befindet, es schaffen sollen, noch nebenbei Kultur zu entwickeln,
Werkzeuge zu erfinden und ihre Höhlen zu bemalen. Und ganz offensichtlich
hatten sie auch die Muse, sich ausgiebig dem Fortbestand der eigenen Art zu
widmen irgendwoher müssen unsere sechs Milliarden Mitbewohner auf
diesem Planeten ja kommen.
Im Mittelalter gab es ob der Abgabenlast immer wieder Aufstände, weil den Bauern zehn Prozent zu viel waren. Heute können wir von solchen Steuersätzen nur träumen. Ein mittelalterlicher Bauer würde heute beim Anblick einer durchschnittlichen Gehaltsabrechnung stante pede das zuständige Finanzamt mit Dreschflegel und Sense bewaffnet aufsuchen.
Ich weiß nicht, ob ich den Komfort einer zentralbeheizten Wohnung gegen eine Höhle tauschen wollte. Aber wenn man die Wirtschaftsbosse von der Fünfzig-Stunden-Woche reden hört und man selbst immer mehr Steuern (vergessen wir nicht die indirekten!) an den Fiskus abdrückt, kommt man schon ins Grübeln.
Der Neoliberalismus treibt immer merkwürdigere Blüten. Was gestern noch ein elementares Recht war (wie das auf sauberes Trinkwasser), ist heute ein Geschäft. In Indien versiegen Coca Cola, Nestlé und Konsorten sei gedankt die Trinkwasserquellen; wer kein Geld hat, soll dursten. Vielleicht sollten wir gewissen Leuten in den Hintern treten, bevor Luft zur teuren Markenware wird. So schlimm war es noch nie. Selbst der Antisemit und Hitlerfreund Henry Ford sorgte seinerzeit in seinen Werken für vernünftige Arbeitszeiten und anständige Löhne. Klar, das war reiner Egoismus, die Leute sollten Autos kaufen und Zeit haben, sie zu fahren, um sie zu verschleißen, damit sie neue kaufen mussten. Dämlich war Henry Ford ungeachtet seiner politischen Einstellung nämlich nicht. Was heute aber im Zuge eines schrankenlosen Kapitalismus betrieben wird, erinnert an ein Krebsgeschwür, das nach und nach den ganzen Körper zerstört und letztlich mit ihm zugrunde gehen muss.
In 50 Stunden
zur Deflation
Was wäre nun, wenn wir alle fünfzig Stunden in der Woche
arbeiten müssten? Schon die Frage ist falsch gestellt "alle"
geht gar nicht. Es wird immer weniger gekauft, hören sie doch mal, wie
die Produzenten jammern. Würden wir alle fünfzig Stunden arbeiten,
stiege damit die Produktion, aber nicht die Nachfrage. Resultat: Überproduktion
(davon sprach schon der olle Marx), sinkende Preise, sinkende Unternehmensgewinne,
Entlassungen, weiter sinkende Nachfrage und so weiter. Also dürfen nicht
alle so lange schaffen, sondern nur ein Teil. Der überflüssige Rest
wird gefeuert. Das senkt zunächst mal die Kosten in der Produktion, aber
da draußen stehen zig Millionen ohne Arbeit und ohne Geld und mit sinkenden
Chancen, wieder eine zu kriegen, weil die paar Leute, die noch Arbeit haben,
den Job der anderen mitmachen. Also sinkt wieder die Nachfrage, damit die Preise,
Rest siehe oben. Fazit: Es ist nicht genug Arbeit für alle da. Das, was
da mit den sinkenden Preisen und so passiert, nennt man übrigens Deflation
(nein, nicht Defloration!).
Haben Sie Schulden? Dann ist so eine Deflation so ziemlich das Dümmste, was Ihnen passieren kann. Aber auch wenn Sie schuldenfrei sind, kommen Sie in die Bredouille. Nicht nur die Unternehmen, die schon mal mit 90% Fremdkapital arbeiten, werden Probleme mit den Zinszahlungen bekommen, auch bei Vater Staat wird's eng. Eine Staatsverschuldung von rund 1,4 Billionen Euro ist auch unter günstigeren Umständen schlicht nicht mehr abzutragen. Mit einer Deflation erreichen die Schulden in kurzer Zeit dank steigender Zinslasten eine Höhe, die das Volksvermögen locker übersteigen kann. Scheinbare Sicherheiten wie Immobilien verlieren derart ihren Wert, dass der Erlös einer Zwangsversteigerung nicht mehr zur Schuldentilgung ausreicht. Dann, Freunde und Nachbarn, bricht alles zusammen. Der Aktienmarkt sowieso, da werden die Wertpapiere nur so verscherbelt.
Die Gravitation
des Geldes
Die Fünfzig-Stunden-Woche wird allerdings nicht die Hauptursache für
eine solche mögliche Entwicklung sein. Eigentlich ist sie nur ein Symptom.
Die Ursache für den Zusammenbruch des Geldsystems ist gewissermaßen
immanent. Haben Sie ein Sparbuch? Gut, die Zinsen sind ja nicht so prall, aber
im Grunde ist das doch eine feine Sache: Man legt ein Guthaben drauf und schaut
zu, wie es wächst. Man lässt das Geld für sich arbeiten. Das
ist aber Quatsch, Geld arbeitet nicht. Die Bank schenkt Ihnen keine Kohle dafür,
dass Sie Ihr Geld bei ihr deponieren, sie benutzt es, um es weiter zu verleihen.
Und dafür kriegt sie Geld, nämlich die Zinsen. Damit Sie Guthabenzinsen
kriegen, muss ein anderer Miese machen, und zwar zu einem deutlich höheren
Zinssatz. Die Differenz streicht die Bank ein. Bei Ihren (und meinen) paar Kröten
auf dem Sparbuch ist der Zuwachs nicht so gewaltig. Nehmen wir einen großzügigen
Jahreszins von fünf Prozent (unrealistisch, aber damit lässt sich's
leichter rechnen). Sie zahlen tausend Euro ein, dann haben Sie nach einem Jahr
1050 Euro. Ab da schlägt dann der Zinseszins zu. Nach zwei Jahren haben
Sie 1102,50 Euro, nach drei 1157,63 Euro und so weiter. Das klingt nun noch
nicht so gewaltig, aber bei den Zinsen gibt es zwei Faktoren: Die Zeit und das
eingesetzte Kapital. Um mit einer Einlage von tausend Euro ein Häuschen
im Grünen bauen zu können, brauchen Sie sehr viel Zeit. Zugegeben,
Sie werden das wohl nicht mehr erleben, dennoch sollte man den Zinseszins nicht
unterschätzen. Angenommen, Sie hätten irgendwann um Christi Geburt
einen Cent zu fünf Prozent Zinsen angelegt, wäre Ihr Vermögen
heute so groß, dass seine Gravitation locker für ein eigenes Planetensystem
ausreichen würde, wenn es nicht sogar zum Gravitationskollaps und dadurch
zur Bildung eines Schwarzen Loches käme. Wenn Sie nicht so viel Zeit haben,
sollten Sie den Kapitaleinsatz deutlich erhöhen. Dazu haben Sie kein Geld?
Nun, andere haben es. Es gibt rund dreihundert Leute auf diesem Planeten, denen
das halbe Vermögen auf der Erde gehört. Angenommen, Sie könnten
ein paar Milliarden anlegen, bekämen Sie tatsächlich das pekuniäre
Equivalent eines Schwarzen Loches. Das ist genau die Methode, mit der Reiche
noch reicher werden (irgendwie müssen sie ja noch an die andere Hälfte
kommen). Und das ist auch der Grund, weshalb unsere Wirtschaft permanent wachsen
muss.
So, Freunde und
Nachbarn, kommen wir nochmal auf unser bescheidenes Sparbuch zurück. Wir
haben festgestellt, dass jemand anders in den Miesen hängen muss, damit
sich unser Konto füllt. Nun ja, mein Girokonto ist chronisch überzogen,
damit finanziere ich meine Guthabenzinsen auf dem Sparbuch selbst. Eigentlich
kein besonders gutes Geschäft, wenn ich mir's recht überlege. Wenn
nun aber die Reichen ihr Geld in Massen bunkern, müssen doch gewaltig viele
Leute verschuldet sein? Genau das ist der Fall. Außerdem wird Kohle in
richtig satten Mengen dem Geldkreiskauf entzogen. Rein rechnerisch ist irgendwann
nichts mehr im Umlauf. Jedenfalls lässt sich mit simpler Mathematik feststellen,
dass auf Zinsen basierende Geldsysteme irgendwann zwangsläufig zusammenbrechen
müssen.
Sie winken ab? Sie meinen, wenn das Finanzsystem zwangsläufig zusammenbrechen
müsse, wäre dies doch in der Vergangenheit auch schon geschehen, oder?
Da liegen Sie durchaus richtig. Genau das ist sogar schon mehrfach passiert.
Nichts aus
der Geschichte gelernt
Um 1870 wurden massenhaft Unternehmen gegründet (daher auch der Name "Gründerzeit").
Dazu wurden riesige Kredite aufgenommen und völlig überbewertete Betriebe
in Aktiengesellschaften umgewandelt: Ein gewaltiger Aktienboom nahm seinen Lauf.
Mit hinterhältigen Tricks wurden die Kurse angeheizt, aber schon 1873 kam
der Zusammenbruch. Niemand wollte mehr investieren, die Leute fingen an zu sparen
(kommt Ihnen das bekannt vor?), die Unternehmen konnten ihre Produkte nicht
mehr absetzen. Die Krise dauerte bis zur Jahrhundertwende an, dann folgte ein
ständiger Wechsel von Boom und Rezession, in dem sich die europäischen
Staaten bis zum Anschlag verschuldeten. Dadurch wurde der Kampf um die Weltmarktanteile
immer härter. Der 1. Weltkrieg war folglich die konsequente Fortsetzung
des Wirtschaftskampfes.
1923 kam dann die Inflation. Vielleicht haben Sie auch noch irgendwo so einen einseitig bedruckten Geldschein über eine Milliarde Mark? Das klingt schlimm, war in den Folgen indes harmloser als die Deflation 1930. 1923 kurbelte das Deutsche Reich eine Währungsreform an. Es kam die goldgedeckte Reichsmark. Dummerweise hatte Deutschland (hätten Vierzehnachtzehn halt gewinnen müssen, selbst schuld) gewaltige Schulden in Amiland. So nahm man dort kurzfristige Kredite auf, um die Kohle langfristig zu verleihen. Anno 29 kam aber der große Crash in der Wall Street, die Amis zogen ihre Kredite zurück, die deutsche Regierung zog Geld im Lande ein es kam zur Deflation. Die Folgen stehen in den Geschichtsbüchern: Hitler kam an die Macht, 1939 brach der 2. Weltkrieg aus. Ganz schön happig, gell? Zig Millionen Tote, weil die Wirtschaft nicht funktionierte.
Ja, Freunde und Nachbarn, man hört es ja immer wieder an den Stammtischen: Es müsste mal wieder ein ordentlicher Krieg her. Klar, dann könnte man alles wieder aufbauen, die Wirtschaft boomen lassen und die ganze Scheiße von vorn beginnen. Einschließlich eines zinsbasierten Währungssystems. Angesichts der heutigen Waffentechnologie kann aber davon ausgegangen werden, dass zum Aufbauen nicht mehr viel bleibt. Aber entscheiden Sie sich selbst: Sind Sie lieber ein Leben lang arm oder ein Leben lang tot? Oh, es gäbe durchaus noch einen dritten Weg. Aber an den werden sich unsere Reformpolitiker nicht wagen, weil dann die Reichen nicht noch reicher werden können, ohne dafür zu arbeiten. Die Lösung: Weg mit den Zinsen.
Klingt brutal, gell? Die Banken nehmen keine Zinsen mehr für Kredite, sondern einen Pauschalbetrag, der von der Kredithöhe und dem Risiko abhängen kann. Na, und verdienen darf man ja auch noch was. Guthabenzinsen gibt's natürlich auch keine mehr, aber dafür könnte Ihnen Ihre Bank ja die Kontoführung, die Überweisungen und was man sonst so an Service braucht, umsonst machen. Einem guten BWLer wird da schon was einfallen (einem richtig guten natürlich). Nun, die Banken werden da leider nicht mitmachen, weil sie sich dann nicht mehr dumm und dämlich, sondern nur noch dumm verdienen würden. Ebenso geht es den Konzernen, obwohl die eigentlich dankbar sein müssten, weil sie ihr Risiko besser kalkulieren könnten. Und es gäbe keinen Zwang zum ständigen Wachstum mehr. Wie ich es in "Zur (P)Lage der Nation" schon geschildert habe: DaimlerChrysler könnte sich damit begnügen, jährlich fünf Milliarden Euro Gewinn zu machen ohne den Anspruch, ihn im Folgejahr zu steigern. Wir wissen ja, wie es geht, wenn das nicht klappt: Die Aktienkurse gehen runter und die Belegschaft wird gefeuert.
Ein mittelalterlicher
Bill Gates
Übrigens hat es so ein zinsloses Geldsystem schon gegeben. Es hatte fast
400 Jahre lang hervorragend funktioniert und wurde nur aufgegeben, weil sich
ein Reicher, der noch reicher werden wollte, durchsetzen konnte. Jenes goldene
Zeitalter der Finanzen (zumindest vom Arbeitnehmer-Standpunkt aus) dauerte von
1150 bis 1540. Um zu vermeiden, dass das Geld gehortet wurde, ließ der
Magdeburger Erzbischof Wichmann Münzen prägen, die zweimal im Jahr
umgetauscht wurden. Um der Umtauschgebühr zu entgehen, wurde Geld zinslos
verliehen. Die Folge war ein enormer wirtschaftlicher Aufschwung: In jener Zeit
wurden die meisten Städte in Deutschland gegründet, die Leute bauten
Dome und Kathedralen bis zum Abwinken. Jener Reiche, der den Hals nicht voll
kriegen konnte, war der Augsburger Kaufmann Fugger. So verschob sich das Kapital,
und zwar dergestalt, dass in ganz Europa der Kathedralenbau aus Geldmangel eingestellt
werden musste. Das Freiburger Münster ist übrigens das einzige, das
noch im Mittelalter fertiggestellt wurde. Die Wirtschaft ging kurzerhand den
Bach runter. Die Folge: Blutige Bauernkriege. Gleichzeitig entstand eine neue
Erwerbsform, nämlich die der abhängigen Lohnarbeit. Es ist möglicherweise
kein Zufall, dass in jener Zeit, als Fugger sich erfolgreich als Lobbyist betätigte,
die Hexenverbrennungen begannen, denen erst im 18. Jahrhundert ein Ende gesetzt
wurde. Bevor das Mittelalter finster wurde, arbeiteten viele Handwerker übrigens
bloß an vier Tagen in der Woche und hatten dennoch ein ordentliches Auskommen
mit ihrem Einkommen.
Rund viereinhalb
Millionen Arbeitslose, sinkende Kaufkraft, sinkende Realeinkommen. Arbeitszeitverlängerungen
ohne Lohnausgleich (die einzigen, die jetzt mehr Geld bekommen sind oh
Wunder! die Banker). Nachgebende Aktienkurse. Firmenpleiten. Zunehmende
Monopolisierung. Ungefähr 80% des Vermögens in Deutschland ist im
Besitz von 3% der Bevölkerung diese Zahlen eruierte die CDU-nahe
Organisation CDA (Christlich Demokratische Arbeitnehmerschaft). Für zwei
Drittel der Gesellschaft besteht ein Armutsrisiko.
Unsere
Politiker wollen Reformen? Oh, bitte, nur zu! Nur dürfen sie dann, bitteschön,
nicht vor dem Kapital einknicken! Ich kenne eine Menge Leute, die für mehr
soziale Gerechtigkeit und eine stabile Gesellschaft gerne auf die Sparbuch-Zinsen
verzichten würden. Diejenigen, die so gesattelt sind, dass mehrere Leben
nicht zum Ausgeben reichen würden, wollen das nicht. Wir, die wir für
unser Geld arbeiten müssen, stellen aber eindeutig die Mehrheit dar. Vielleicht
sollten unsere (sozial-)demokratischen Politiker mal darüber nachdenken.
Möglichst, bevor unsere Demokratie den Weg unserer Arbeitsplätze geht.