© Eric Fricke
Essig mit Öl
Nein,
Freunde und Nachbarn, sprechen wir heute nicht über Hartz IV. Dazu gibt
es am 29. Oktober 2004 in Waldkirch eine Diskussionsrunde mit dem schleswig-holsteinischen
Finanzminister Ralf Stegner, dem Waldkircher Sozialamtschef Martin Müller,
Heinz Disch von der Agentur für Arbeit in Freiburg und MdB Peter Dreßen.
Peter Dreßen schrieb mir, er würde sich freuen, mich an diesem Abend
zu sehen, und, Freunde und Nachbarn, den Gefallen werde ich ihm tun vermutlich
werde ich ihn vorher (ebenso wie Martin Müller) mit neuen Artikeln eindecken.
Nein, sprechen wir heute darüber, dass Hartz IV unter anderem auf der Annahme basiert, dass die Wirtschaft gestärkt wird und die Arbeitslosigkeit sich im Rahmen eines Aufschwungs drastisch reduziert. Nun, diese Prämisse ist schlicht und einfach falsch. Es wird keinen langfristigen wirtschaftlichen Aufschwung geben. Zumindest dann nicht, wenn wir einfach so weitermachen wie bisher. In den Tank meines Autos passen 80 Liter Diesel. Bei den derzeitigen Preisen liegt der Wert einer Tankfüllung bei 84 Euro; das waren in richtigem Geld 164 Mark und 29 Pfennige. Einmal kräftig Volltanken kostet mich demnach vier Prozent meines monatlichen Nettogehaltes. Der Wirtschaft tut das nicht gut, der Verkehrssicherheit auch nicht, denn man mag es kaum glauben der deutsche Bundesbürger hat mittlerweile begonnen, beim Auto zu sparen: Laut DAT-Report 2004 lassen inzwischen 26% der Fahrzeughalter ihr Auto aus Kostengründen nicht mehr warten!
Um Missverständnissen
vorzubeugen: Ich bin kein Wortführer der Billigsprit-Fraktion. Ich möchte
einfach nur ein paar Zusammenhänge aufzeigen, die unseren Politikern offenbar
völlig entgehen. Auch ein Wegfall der Ökosteuer und eine Senkung der
Mineralölsteuer wären nur kurzfristige Kosmetik. Denn ganz offensichtlich
steht die globale Erdölproduktion unmittelbar vor dem Fördermaximum
just zu einer Zeit, wo sich China anschickt, im Ölverbrauch mit
den USA gleichzuziehen. Sprechen wir in diesem Zusammenhang nur einmal über
die Wirtschaft und lassen die übrigen damit verknüpften Probleme einmal
außen vor. Zum Beispiel jenes, dass die atmosphärischen CO2-Werte
plötzlich rapide steigen, was ein Indiz dafür sein könnte, dass
das Ökosystem kippt. Kann ja wohl auch nicht so schlimm sein, solange solche
Meldungen nicht auf dem Titel der Bild-Zeitung stehen, sondern man sie sich
mühsam aus irgendwelchen wissenschaftlichen Artikeln rauskramen muss, oder?
Also, machen wir's kurz: Mit Öl ist in absehbarer Zeit Essig. Nicht, dass
es nicht noch 50 Jahre oder so reichen wird. Nein, es wird schlichtweg schweineteuer.
Experten halten es für denkbar, dass relativ kurzfristig die Preise pro
Barrel von derzeit rund 50 Dollar auf über 100 Dollar steigen könnten.
Dr. Marion King Hubbert gehört zu diesen Experten. Er hatte vor vielen,
vielen Jahren (kurz, nachdem die Dinosaurier ausgestorben waren und der Sprit
noch Pfennige kostete, also etwa Ende der Fünfzigerjahre) das US-amerikanische
Fördermaximum für 1970 prognostiziert. Dafür erntete er schallendes
Gelächter, von Hohn und Spott ganz zu schweigen. Die Ölkonzerne ließen
eiligst Gutachten veröffentlichen, die den Öl-Peak für frühestens
1990, eher später, ankündigten. Nun, Freunde und Nachbarn, das Fördermaximum
für die USA kam im Jahre 1971.
Tanzfläche
über dem Krater
Wenn man sich nun noch vor Augen hält, dass beispielsweise der Dollar mittlerweile
zur ölbasierten Währung geworden ist, braucht man nicht übertrieben
viel Fantasie um sich vorzustellen, was ein mehr als doppelt so hoher Ölpreis
für Auswirkungen auf die globale Wirtschaft hat. Wenn ich an die möglichen
politischen Konsequenzen denke, wird mir geradezu schlecht. Da die USA bereits
damit begonnen haben, sich unter dem Vorwand der Terrorismusbekämpfung
die globalen Ölreserven militärisch zu sichern, hielte ich auch ein
Szenario für denkbar, in dem versucht wird, Europa gewaltsam von den Ölreserven
abzuschneiden, weil God's own country kurz vor dem Zusammenbruch steht.
Unsere Politiker
beschwören dennoch nach wie vor ein ressourcenfressendes Wirtschaftswachstum.
Langfristiges Denken findet nicht mehr statt, bestenfalls planen Politiker noch
bis zu ihrer Pensionierung, im Regelfalle aber vielleicht noch über den
Zeitraum einer Legislaturperiode. Was in zehn, zwanzig oder fünfzig Jahren
zusammenbrechen mag scheißegal, uns muss das nicht mehr kratzen.
Hereinspaziert, Herrschaften, die Tanzfläche ist dort links über dem
Krater! Jetzt muss die Wirtschaft boomen, Leute, konsumiert auf Teufel-komm-raus!
Lasst den Schornstein rauchen, damit wir alle glücklich werden!
So, Freunde und Nachbarn, legen wir die Basis zu künftigen Kriegen.
In Gesprächen höre ich immer wieder: "wird schon nicht so wild werden" oder: "da wird denen [wem denn?] schon noch was einfallen" oder auch: "da verlasse ich mich ganz auf die künftigen technischen Entwicklungen". Vor ein paar hundert Jahren hätten die Leute gesagt: "Da hilft nur noch ein Wunder!"
Nun, an Wundergläubigkeit mangelt es uns auch heute nicht. Wir nennen das nur anders. Schließlich sind wir fortschrittliche Menschen, oder? Ist es denn nicht so, dass heute buchstäblich alles möglich ist? Jesus verwandelte Wasser in Wein, hallelujah, preiset den Herrn! Ein Wunder, eine göttliche Offenbarung! Ein moderner Wissenschaftler würde vermutlich zuerst einmal die Molekularstruktur von Wasser und Wein vergleichen und sich dann an deren Umbau machen. Für die Lahmen erforschen wir die Gene, dämonische Besessenheit diagnostizieren wir als Epilepsie und verabreichen Ritalin. Jesus konnte auf dem Wasser laufen? Zumindest theoretisch könnte das jeder; Wissenschaftler haben anhand der Fläche eines menschlichen Fußes und der Oberflächenspannung des Wassers berechnet, dass dazu eine Geschwindigkeit von etwa 70 Stundenkilometern nötig ist. Was heute für jeden von uns schon fast langweiliger Alltag ist, wäre für unsere Vorfahren nur durch Wunder zu erklären gewesen. Echtzeitkommunikation mit Menschen auf der anderen Seite der Erde? Kein Problem. Mondflüge sind Schnee von vorgestern, schon werden die ersten Weltraumflüge von erlebnishungrigen Touristen gebucht. Wobei, Weltraum, na ja. Sind eben mal hundert Kilometer Höhe, aber was soll's.
Energie für
Wollsockenträger
Hey, Freunde und Nachbarn, unsere modernen Wunder werden es richten, preiset
Bill Gates, lobet die Konzerne! Die Sache hat nur einen klitzekleinen Haken;
entschuldigen Sie, dass ich solche Nebensächlichkeiten überhaupt erwähne:
Unsere gesamte Technik benötigt Energie. Jedes Jahr frisst unsere Zivilisation
drei Prozent mehr Öl. Was kommt danach? Atomkraft? Na, da werden unsere
Nachfahren aber strahlen! Abgesehen von unserem Atommüll stellt sich für
unsere Nachkommen (und das ist bereits absehbar) das Problem, dass auf diesem
Planeten auch einmal das Uran zu Ende geht. Regenerative Energiequellen? Quatsch,
das ist nur was für Wollsockenträger! Wir können unsere Landschaften
doch nicht mit Windrädern verschandeln! Lieber warten wir, bis sie in globalen
Verteilungskriegen platt gemacht werden! Wasserstoffbetriebene Autos? Ja, ja,
die Autoindustrie ist da schon dran. Ist aber noch nicht ganz marktreif; die
Kosten, Sie wissen schon. Vermutlich geht es aber eher darum, der Ölindustrie
nicht in die Quere zu kommen. Ich behaupte, dem Kunden ist es egal, ob sein
Auto mit Benzin, Rizinus oder Gülle fährt. Hauptsache, es fährt.
Kosten? Angenommen, ein wasserstoffbetriebenes Aggregat kostet doppelt so viel
wie ein Verbrennungsmotor, dann dürfte sich ein Mittelklassewagen von etwa
20.000 auf etwa 25.000 Euro verteuern. Das mag nicht wenig sein, andererseits
könnte man doch auf einigen Schnickschnack verzichten, oder? Mein Auto
hat keine Klimaanlage, keine elektrischen Fensterheber, keine elektrische Spiegelverstellung,
keine Spiegelheizung, kein Navigationssystem, keinen Bordcomputer, keine sich
automatisch dem jeweiligen Fahrer anpassenden Sitze, keinen Tempomaten, keine
Schlupfregelung, keine Abstandssensoren, keine Zentralverriegelung, keine Wechselsprechanlage
für die Fondpassagiere, keine automatische Einparkhilfe, keine TipTronic-Schaltung,
keinen Außenthermometer. Dafür wiegt die Kiste als ausgewachsener
Lieferwagen! gut 100 bis 150 Kilo weniger als ein mittelgroßer
Van, der den ganzen Krempel serienmäßig an Bord hat. Die Höchstgeschwindigkeit
liegt auf ebener Strecke bei 150 Stundenkilometern, wenn ich nicht zuviel geladen
habe. Na und? Auf dem Weg zur Arbeit darf ich eh nicht schneller als 120 fahren,
und wenn ich verreise, bin ich im Urlaub und nicht auf der Flucht. Aber solange
Autoredakteure im Testbericht eines Kleinwagens kritisieren, dass die Höchstgeschwindigkeit
gerade mal bei 170 Sachen liegt... aber ich schweife (wie Sie es von mir gewohnt
sind) mal wieder ab.
Halten wir fest: Die Industrie mag keine Alternativen. Die Ölkonzerne wollen Öl verkaufen, und das wird gemacht, bis der letzte Tropfen aus der letzten Quelle gequetscht ist. Basta. Die Banken wollen kein zinsloses Währungssystem, die Reichen natürlich erst recht nicht. Nur keine Veränderungen, nur keine echten Reformen! Es möge, um Himmelswillen, alles so bleiben, wie es ist; dem Volk wird Sand in die Augen gestreut: Hartz IV, Gesundheitsreform, der Wachstumsglaube Beschwörungen, dass alles gut wird. Seht her, wir tun etwas! In Wirklichkeit laufen diese Maßnahmen auf eine Konsolidierung der bestehenden Verhältnisse hinaus; wer das zu kritisieren wagt, ist "reformunfähig" oder legt, wie es der Kanzler ausdrückte, provinzielles Denken an den Tag. In Wirklichkeit geht es uns wie jenem Mann, der vom Hochhausdach stürzte und der, als er am dritten Stock vorbeikam, sagte: "Bis jetzt ist ja noch alles gut gegangen!"
Wunder über
Wunder
Unsere Pseudoreformen sind Symptome extrem ineinander verzahnter globaler Probleme;
es sind vor allem systemimmanente Probleme, und diejenigen, die an Lösungen
herangehen könnten, sind ausgerechnet die Profiteure dieses Systems.
Können wir, die Betroffenen, die Wurzel des Übels packen? Kaum, wenn wir weiterhin unserer Wundergläubigkeit anhängen. Denn hoffen wir nicht auch, dass alles beim Alten bliebe? Dass wir uns nicht umgewöhnen müssen, weil sich vielleicht doch alles zum Besseren wenden möge? Vielleicht werden uns kommende Generationen ob dieser Haltung verfluchen. Ich zitiere aus einem Telepolis-Artikel von Artur P. Schmidt:
"Fossile Energieträger haben eine limitierte Ressourcenbasis. Diese Limitierung kann bei außerordentlichen Ereignissen weltweit eine Massenpanik hervorrufen, vergleichbar mit dem Aktien-Crash von 1929. [...] Ohne Öl würde die amerikanische Wirtschaft kollabieren. Es ist zum entscheidenden Schmiermittel des Kapitalismus avanciert. Ohne Öl keine Mobilität, keine offenen Krankenhäuser, keine fahrenden LKWs und keine Züge. An den Flughäfen landen und starten täglich über 25.000 Flugzeuge. Millionen von Klimaanlagen treiben den amerikanischen Energiebedarf in schwindelerregende Höhen. Im Durchschnitt legt jedes Nahrungsmittel in Nordamerika 1.300 Meilen zurück, bevor es auf dem Teller des Verbrauchers landet. Weltweit fahren mehr als 850 Millionen PKWs oder Nutzfahrzeuge."
Wie lange hielte unsere Zivilisation einen solchen Energie-Crash durch? Wie viele Mahlzeiten trennen uns vom Neandertaler?
Sie mögen argumentieren, dass die Menschheit seit der Steinzeit schon mehr als eine Katastrophe überstanden hat. Aber wer garantiert Ihnen und mir, dass wir beide in solch einem Falle überleben? Ich spreche hier von Veränderungen, die nicht irgendwann einmal in ein paar Millionen Jahren kommen werden wie das Kollabieren der Sonne, wenn sie dereinst ihren Wasserstoffvorrat aufgebraucht hat, sondern von den nächsten Jahren und Jahrzehnten.
Ja, manchmal möchte man tatsächlich an Wunder glauben. Aber an richtige.