John Twelve Hawks' "Traveler": Ein zwiespältiges Buch 

© Eric Fricke

"Ich habe den Roman geschrieben, um unsere heutige Welt zu verstehen und weil ich immer noch an das Ehrgefühl glaube. Und an die Tapferkeit. Und an die Liebe. Ich lebe außerhalb des Rasters. Wer ich bin und was ich gemacht habe, spielt keine Rolle. Mein Name ist John Twelve Hawks. Der 'Traveler' spricht für mich." Zitat des Autors – wie immer er wirklich heißen mag.

Hawks beschreibt eine total überwachte Welt, in der die Politiker nur noch die Marionetten einer geheimen Bruderschaft sind. Nur einige wenige Menschen, die "Traveler" können die Bruderschaft noch bekämpfen. Sie verfügen über die Gabe, in andere Sphären zu reisen.

Bei den Beschreibungen der technischen Überwachungsmaßnahmen musste Hawks nicht besonders viel Phantasie walten lassen, schließlich lebt kaum noch jemand "off the grid". Die Röntgengeräte an Flughäfen, die die Kleidung der Fluggäste wegrechnen, um sie dem Überwachungspersonal "aus Sicherheitsgründen" (ein universelles Totschlagargument) nackt zu zeigen, sind bereits Realität. Angeblich werden aber die Genitalien ausgeblendet. So könnte das Buch auf spannende Weise (wenn auch teilweise grottenschlecht übersetzt) mit seiner Aufzählung von Überwachungsmaßnahmen, die ja in Form von Gesichtsscannern, der Erfassung biometrischer Daten, RFID-Chips und Kameraüberwachung ganzer Stadtteile bereits Realität sind, durchaus aufklärerisch wirken.

Aber genau das ist das Kernproblem des Buches: Es verwischt die Grenzlinie zwischen Fantasie und Realität derart, dass viele Leser sich vermutlich entspannt zurücklehnen und sich beruhigt sagen, dass das Buch ja gottlob nichts mit der Wirklichkeit zu tun habe. Es ist zweifellos nicht einfach, Phantasy mit Systemkritik zu mischen. Einigen Autoren ist das indes hervorragend gelungen, einschließlich natürlich George Orwell (und vergessen wir an dieser Stelle nicht John Brunner). John Twelve Hawks hingegen hat seine – immerhin durchaus berechtigte – Systemkritik in den Sand gesetzt.

Maya, Tochter von Thorn, versucht, die Brüder Gabriel und Michael, beides Traveler, zu schützen. Sie ist ein Harlequin, also ein Mitglied einer Kriegerkaste, deren Aufgabe der Schutz der Traveler ist. Die Waffe der Harlequins ist das Samuraischwert. Nun gut, warum nicht. Es kommt aber noch besser: Der erste Traveler war Jesus, der erste Harlequin Petrus. Das Motto der Harlequins stammt übrigens von Mayas deutschem Vater: "Verdammt durch das Fleisch – gerettet durch das Blut". Au weia, da fehlt nur noch der Boden.
"Thorn" klingt nebenbei verdächtig nach "Thor", Gabriel und Michael nach Erzengeln. Dazu gibt es noch genmanipulierte Tiere, so genannte "Splicer", blutrünstige Bestien, die sich selbst regenerieren können, wenn ihnen Maschinengewehrkugeln oder Samuraischwerter auf den Pelz rücken – oder eine zum Flammenwerfer umfunktionierte Haarspraydose (James Bond lässt grüßen!). Wer das jetzt schon etwas konfus findet: Es gibt da noch Außerirdische, die – offenbar in völliger Verkennung der Situation – der Bruderschaft (Big Brother?) einen Quantencomputer schenken und regelmäßig für Updates sorgen. Ein bunter, teilweise religiös verbrämter Mix, in dem ausgerechnet die Guten emotionslose (bzw. im Falle Mayas ihre eigenen Emotionen unterdrückende) Kampfmaschinen sind. Die Traveler überschreiten unterdessen munter die Grenzen der Sphären, wo sie sich gegen die Unbill von Feuer, Erde, Wasser und Luft behaupten oder gegen zombiehafte Untote zur Wehr setzen müssen. Alles reichlich verquast und eher dazu angetan, die real existierende Freiheitsberaubung in unserer Welt vom unbedarften Leser in die gleiche Ecke stellen zu lassen wie die Traveler: Alles nur erfunden, erstunken und erlogen, um einen Action-Thriller zu schreiben.

Man mag ja anerkennen, dass "Traveler" mit seiner Kernbotschaft gut gemeint war. Aber das ist halt meistens das Gegenteil von gut gemacht.

Aber wer weiß, vielleicht hat John Twelve Hawks diesen ersten Band einer Trilogie als Ablenkungsmanöver im Auftrag der Bruderschaft geschrieben und ist gar kein in einem Hochsicherheitstrakt einsitzender Staatsfeind, wie in manchen Internetforen gemutmaßt wird?


24_04_06

 

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