Pfizer: Druck auf Cholesterin-Patienten

© Eric Fricke

Es gibt Leute, die erben Omas Häuschen oder Opas Briefmarkensammlung. Letztere hat meistens nur Erinnerungswert, es sei denn, man findet so eine komische blaue Marke. Die genügt, um die Portokosten der nächsten paar hundert Jahre zu begleichen. Manche erben auch Unternehmen; solche Transaktionen regelt man aber besser von der Schweiz aus. Wo käme man denn hin, wenn Konzernbosse plötzlich Steuern zahlen müssten?

Ja, Freunde und Nachbarn, auch ich habe geerbt. Es war das Vermächtnis meines Großvaters. Dann bekam es mein Vater und schließlich ich. Sind Stoffwechselstörungen eigentlich auch erbschaftsteuerpflichtig? Das Leben ist hart und grausam: Da ernährt man sich seit dem 20. Lebensjahr vegetarisch und hat trotzdem einen zu hohen Cholesterinspiegel. Entsprechend sinnlos war ein Diätversuch: Während der "schlechte" LDL-Wert nahezu konstant blieb, ging der "gute" HDL-Wert in den Keller. Also Medikamente. Mein Hausarzt verschrieb mir Sortis. Das klappte, und mein Doc meinte zufrieden, dass ich auf diese Weise locker 80 werden könne, vorausgesetzt, ich rauschte mit meinem Auto nicht vorher an einen Baum. Und so schluckte ich über die Jahre hin tausende von Sortis-Kapseln und bemühte mich stets darum, den auf die Straße springenden Bäumen auszuweichen. Alle paar Monate statte ich meinem Doc einen Besuch ab, wo mich die Sprechstundenhilfe mit einem strahlenden Lächeln begrüßt. Ist es nicht schön, schon frühmorgens von einer hübschen jungen Frau umsorgt zu werden? Dummerweise holt sie jedesmal, wenn man sie verträumt anschaut, spitze Geräte hervor und lässt einen zur Ader. Und das noch vor dem Frühstück! Danach marschiere ich mit meinem Rezept in die Apotheke und hole eine neue Packung Sortis.

Ist ganz schön teuer, das Zeug. Hundert Stück kosten satte 150 Euro und 12 Cent. Das ist aber, weltweit gesehen, eher ein Durchschnittswert. Sortis, das von Pharmagigant Pfizer außerhalb Deutschlands unter dem Namen Lipitor verkauft wird, ist ein Milliardengeschäft. Kein Wunder bei Preisen zwischen 178 und 377 Dollar für eine 90er-Packung, der üblichen Größe in den USA. Billiger bekommt man das Zeug nur auf den Westindischen Inseln, wo man für eine 120er-Packung 119 Dollar bezahlt. Und ich behaupte mal, auch damit ist noch gut verdient. 548 Euro jährlich kostet meine Gesundheit. Logisch, dass mich die Apothekerin auch immer anlächelt. Das wäre doch ein Slogan für Pfizer: "Mit Sortis haben Sie Glück bei den Frauen!"

Die Krankenkassen lächeln nicht. Klar, irgendwer muss für Sortis ja bezahlen; derzeit liegt der Umsatz für Pfizer nur mit diesem Mittel bei über einer halben Milliarde Euro in Deutschland. Krank wird man meistens eher billig (sieht man mal von den Kosten für Zigaretten, Alkohol oder einem am Baum zerlegten Auto ab; derzeit hätte ich allerdings ein paar Schnupfenviren günstig abzugeben), Gesundheit dagegen geht richtig ins Geld, Freunde und Nachbarn! Unsere staatlichen Medizinmänner griffen mit den Kassen zur Notbremse: Sortis soll, zusammen mit einer Reihe ähnlicher Medikamente in eine gemeinsame Festbetragsgruppe ("Jumbogruppe") aufgenommen werden, um damit eine Kostenregulation in Gang zu bringen. Davon betroffen sind unter anderem auch die Medikamente Zocor, Pravasin, Cranoc und Mevinacor. Daraus resultieren zwei Möglichkeiten: 1. können die betroffenen Konzerne ihre Preise auf die erstattungsfähige Obergrenze senken. Das würde bedeuten, dass sie sich nicht mehr dumm und dämlich, sondern nur noch dumm verdienen. 2. können die Konzerne bei ihrer Hochpreispolitik bleiben, dann muss aber der Patient, der auf eines der Präparate besteht, die Differenz aus eigener Tasche begleichen. Bei Sortis kann sich das, je nach Dosierung, locker auf 200 Euro im Jahr summieren.

Die Reaktion von Pfizer kam schnell: In bundesweiten ganzseitigen Farbanzeigen, die bis dato bereits dreimal geschaltet wurden, hieß es: "Ab Januar wird gespart. An der Gesundheit von Millionen Herz-Kreislauf-Patienten. Ab 1. Januar wird 1,5 Millionen Kassenpatienten der nachweislich beste Cholesterinsenker nicht mehr voll erstattet [...] Sortis senkt Cholesterinwerte am stärksten, reduziert das Risiko am schnellsten und ist auch in höchster Dosierung gut verträglich." Von den Kosten dieser Kampagne könnte ich mich für mehrere tausend Jahre mit Sortis eindecken, aber mein erster spontaner Gedanke war: Ist Werbung für rezeptpflichtige Medikamente in Deutschland nicht verboten? Aber die Kosten für eine Abmahnung sind da wahrscheinlich schon mit einkalkuliert; so ein Konzern wie Pfizer bezahlt das locker aus der Portokasse. Perfider ist aber die Werbung mit der Angst: Unterschwellig suggeriert der Anzeigentext: Wenn du dir dein Sortis nicht mehr leisten kannst, fällst du demnächst tot um. Und das ist der eigentliche Skandal dieser Kampagne.

Ist Sortis tatsächlich so ein Wundermittel mit einer einzigartigen Alleinstellung? Ein Anruf bei meinem Hausarzt klärte recht schnell, dass es neben den oben erwähnten beiden Möglichkeiten noch eine dritte gibt: Auf ein anderes Medikament umsteigen. Außerdem ließ mir mein Doc einige ausgedruckte Informationen in bestem Medizinerdeutsch zukommen. Ich versuche mich mal an einer Übersetzung:

Also, grundsätzlich hat so ein Cholesterinsenker zwei Hauptaufgaben. Angenommen, Sie sind ansonsten kerngesund, dann soll das Medikament verhindern, dass sich Fett an Ihren Herzkranzgefäßen absetzt. Durch Verhärtung hinterlässt das nämlich immer so hässliche Kalkflecken am verchromten Autopsiebesteck. Das ist ein Job, den Sortis zweifellos beherrscht. Sagen jedenfalls meine Blutwerte; für irgendwas muss diese Piekserei ja gut sein. Die andere Aufgabe ist der Schutz vor Komplikationen, falls Ihre Blutgefäße bereits so aussehen wie der Abfluss von meinem Waschbecken im Bad. Dafür, dass Sortis das kann, liegen keine Daten vor. Andere Medikamente können das aber erwiesenermaßen. Generell ist die Datenlage bei einer Menge Medikamente besser als bei Sortis, zum Beispiel bei Diabetikern mit hohem Risiko, dass die Pumpe nicht mehr will. Studien über homozygoter familiärer Hypercholesterinämie und Dyslipidämien wurden bei Pfizer offenbar nur mit einer sehr kleinen Anzahl Probanten durchgeführt. Falls Sie wissen wollen, was diese langen Wörter bedeuten, kaufen Sie sich einen Pschyrembel.
Fazit: Sortis scheint nicht mehr oder weniger als der Rest der Präparate auf dem Markt zu taugen. Zitat "Arznei-Telegramm": "In der wichtigsten Indikation für ein Statin, der Langzeitsekundärprophylaxe chronischer atherosklerotischer Erkrankungen, ist ein Nutzen von Atorvastatin [der Wirkstoff von Sortis, Anm. d. Autors] gar nicht nachgewiesen."

Das Sortis-Patent läuft noch bis 2011. So lange will Pfizer noch raffen, was zu holen ist und sei es durch Panikmache bei den Patienten. Dass Pfizer mit diesem Erpressungsversuch durchkommt, ist nicht zu hoffen.

Falls Sie geglaubt haben, ein im Gesundheitsbereich tätiges Unternehmen verspüre eine besondere Verantwortung für seine Mitmenschen, war das eine reichlich naive Annahme. Auch hier zählt nur 1. Geld, 2. Geld und 3. noch mehr Geld. Vermutlich werden andere Hersteller ab 2012 Sortis nachbasteln und unter eigenem Namen günstig vermarkten. Es ist anzunehmen, dass sich Pfizer dann aus dem Geschäft mit dem vorgeblichen Wundermittel zurückziehen wird. Da für Sortis alleine ein ganzer Produktionsbetrieb tätig ist, können sich die Beschäftigten schon mal in aller Ruhe bis dahin nach einem neuen Job umsehen – Management und ein paar Spezialisten mal ausgenommen. Auch beim Thema Gesundheit gilt das Motto des alten Rocksongs: "It's money that matters!"

Pfizer will jedoch Patienten entgegenkommen, die sich Sortis nicht leisten können, also jene Patienten, die mehr als zwei Prozent ihres Bruttoeinkommens für Zuzahlungen aufgewandt haben und deshalb von weiteren Eigenleistungen für Medikamente von den Krankenkassen freigestellt sind. Wie diese Regelung genau aussehen soll, erklärte der Konzern nicht, aber: "Wir wollen sicherstellen, dass kein Patient aus finanziellen Gründen (…) auf Sortis verzichten muss."

Ok, Jungs, ich komme demnächst mit meinem Lieferwagen vorbei. Für die nächsten 38 Jahre bis zu meinem 80. Geburtstag sollte ich schon einen gewissen Vorrat haben...

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