© Eric Fricke
Dass Waldkirch den ehrenvollen Titel "Slow City" tragen darf, hat sich noch nicht so recht im Bewusstsein der Bewohner verankert. Freilich, Freunde und Nachbarn, das ist eine Sache, die erst mal wachsen und reifen muss; das braucht seine Zeit warum, glauben Sie, heißt das "slow"? Und natürlich muss auch jeder erst mal sondieren, was er selbst dazu beitragen kann. Der Beitrag "Nette Toilette" der Gastronomie ist schon mal kein schlechter Ansatz, zudem bietet dieser Claim enorme Möglichkeiten für die Fasnet. Abgesehen davon suche ich natürlich lieber das gepflegte Örtchen eines Waldkircher Gasthauses auf als jene Gruft im Rathausinnenhof.
NX4U hat auch schon einen Beitrag geleistet: Kulturshopping in Slow City (ich lege Wert darauf, dass dieser Slogan von mir stammt, gell, liebe Werbegemeinschaft?). Am 26. Juni spielten wir unplugged in der Engelstraße. Na ja, was man halt so unplugged nennt; wer schon einmal versucht hat, sich mit einer unverstärkten Akustikgitarre gegen ein Schlagzeug von hinten und den Straßenverkehr von vorne durchzusetzen, wird das Teil recht bald einstöpseln. Eine nette Toilette fand sich in der Engelstraße übrigens nicht, sodass wir vor dem Auftritt den Abtritt in der Rathausgruft aufsuchen mussten. Nun gut. Auf das Kaufhaus Krauss war aber wieder mal Verlass, ohne Probleme stellte man uns wie schon im Vorjahr den Strom zur Verfügung.
Das ist doch eigentlich eine ausbaufähige Geschichte: Jeden Samstagvormittag (schönes Wetter mal vorausgesetzt) Live-Musik, Kabarett, Jongleure... da macht das Einkaufen richtig Spaß! Da lassen sich sogar durchaus Leute von Außerhalb ziehen. Wenn der Besitzer vom Döner in der Engelstraße aber auch was davon haben will, sollte er sich künftig am Samstag den Wecker stellen und den Laden spätestens dann offen haben, wenn unser Schlagzeuger Theo das erste Stück einzählt. Sein Vorgänger hatte das letztes Jahr so gemacht und wurde mit einem bombigen Umsatz belohnt (worauf er der Band eine Lage Bier spendierte, worüber auch keiner ernsthaft böse war).
Bei der Stadt ist man sich des Potenzials solcher Veranstaltungen offenbar bewusst: Die Genehmigung der Veranstaltung kam schnell und unbürokratisch eine wichtige Voraussetzung, wenn sie Interesse am Ausbau von Kulturshopping in Slow City© hat. Schade nur, dass Waldkirch kein Geld hat; ein paar Bühnenelemente in der Engelstraße hätten das Ganze noch etwas abgerundet. Die derzeit existierenden sind mittlerweile dermaßen morsch, dass darauf garantiert jeder seinen Durchbruch erlebt, weshalb man besser von vornherein darauf verzichtet. Andererseits ist es nicht sogar ein Merkmal von Slow City, dass alles eine Nummer kleiner läuft?
Natürlich lösen weder ein ehrenvoller Titel noch NX4U ein grundsätzliches Problem beim Einkaufen: Die Zeiten, in denen man in Waldkirch alles bekam, sind vorbei. Wir hatten mal einen prima sortierten Baumarkt inzwischen muss man sein Werkzeug in Freiburg kaufen. Ein Haushaltswarengeschäft mit erstklassiger Beratung weg. CDs und DVDs? Oh, nichts gegen das Angebot bei Burkarts, aber zum Stöbern ist das doch ein bisschen zu wenig. Und ausgefallene Sachen gibt's da halt auch nicht. Das Kaufhaus Krauss hatte eine ordentliche Auswahl, aber auf Weisung aus Emmendingen wurden CDs und DVDs trotz vorhandener Nachfrage in Waldkirch aus dem Sortiment genommen. Also bleibt wieder nur die Fahrt nach Freiburg oder die Bestellung im Internet. Musikinstrumente in der Musikstadt Waldkirch? Ja, vorausgesetzt, man spielt ein Blasinstrument oder Drehorgel. Einem Rockmusiker (und davon gibt's in Waldkirch etliche) bleibt nur der Weg nach Freiburg oder Herbolzheim. Auch die Wege zu den Lebensmitteln sind länger geworden. Wenn ich früher mal noch einen Liter Milch brauchte, ging ich in das nette kleine Geschäft in der Bismarckstraße. Heute muss ich das halbe Städtle durchqueren. Nicht, dass ein Spaziergang meinem Bauchumfang schaden würde, aber es soll ja auch Leute geben, die nicht ganz so gut zu Fuß sind. Immerhin ist ein Viertel der Waldkircher Bevölkerung über 65, Tendenz im Zuge der demografischen Entwicklung steigend.
Der Trend zum Einkaufszentrum auf der grünen Wiese dürfte kaum umkehrbar sein; solche Läden können natürlich auch ganz anders kalkulieren als ein kleines Fachgeschäft in der Innenstadt, das froh sein kann, wenn die Miete wieder reinkommt. Die wirtschaftliche Lage und eine gewisse "Geiz-ist-geil"-Mentalität tragen ebenfalls ihren Teil zum Ladensterben bei. Dennoch kann Slow City zumindest in psychologischer Hinsicht ein wenig dazu beitragen, sich gegen solche Trends zu stemmen, wenn sich daraus ein gewisses "Wir"-Gefühl ergibt. Der Supermarkt da draußen ist weitgehend anonym, die generationenalte Metzgerei um die Ecke ist ein Teil von "uns" (zugegeben, nicht von mir; ich bin Vegetarier). Und sagen die Werbepsychologen nicht immer, das Einkaufen solle mit Emotionen verbunden sein? Ehrlich, ich bin emotional viel besser drauf, wenn ich beim Bäcker eine Brezel extra kriege als vor diesem verdammten Leergutautomaten, der mir aus unerfindlichen Gründen den Bierkasten zum fünften Mal wieder ausspuckt. Während ich praktisch alle Ladenbesitzer in der Innenstadt persönlich kenne und mich beim Einkauf auch gerne mit ihnen unterhalte, habe ich es im Supermarkt bis heute noch nicht geschafft, den Vornamen der netten Kassiererin mit der Brille herauszubekommen, weil garantiert einer von hinten plärrt: "Geht's da vorne endlich weiter?"
Slow City muss von innen heraus gedeihen. Das ist durchaus keine Sache, die man auf die Verwaltung, den Gemeinderat, die Vereine oder die Werbegemeinschaft abwälzen sollte. Slow City kann bedeuten, dass wir alle manche Dinge einfach etwas gelassener angehen sollten. Zum Beispiel, wenn die Gartenwirtschaft nebenan am Samstagabend um elf immer noch belebt ist. Da kann man natürlich die Polizei rufen. Man kann sich aber auch dazusetzen und ein Pils mittrinken. Damit hat man dann ebenfalls einen Beitrag zu Slow City geleistet.