Ein pessimistisches Manifest

© Eric Fricke

Schwindendes Vertrauen
Die SPD hat bei den Europawahlen kräftig eines auf die Mütze bekommen – somit befindet sie sich mit den meisten Regierungsparteien in Europa in guter Gesellschaft. Auf kommunaler Ebene haben sich die Sozis – immerhin ein Trost für sie – ordentlich gehalten. Den Einzug in den Waldkircher Gemeinderat hat mir das zwar nicht ermöglicht, aber, nun ja, man kann nicht alles haben. Hauptsache, man ist gesund, nicht wahr?
Das Vertrauen in die Regierungen schwindet. Sind Die Da Oben überhaupt Willens und in der Lage, unsere Probleme zu lösen? Das Rentenproblem, die Arbeitslosigkeit (Hey, Freunde und Nachbarn, vermutlich gehöre ich ja auch bald zum Club der – noch – viereinhalb Millionen, stellt schon mal ein Bier kalt!), die Preissteigerungen und und und... Zum Kanzler-Ohrfeigen bitte hier lang, aber jeder nur einmal!
Gemach. Schröder kann unsere Probleme nicht lösen. Nicht einmal, wenn er wollte. Dass er nicht will, stellt er ja öfter unter Beweis, zum Beispiel mit Protektionsmaßnahmen für die Not leidende deutsche Autoindustrie, siehe auch den Artikel "Eine Ohrfeige für den Kanzler". Das ist die eine Sache. Dass er sie nicht – zumindest nicht alleine – lösen kann, eine andere. Hier sind globale Ansätze gefragt, und, Freunde und Nachbarn, damit hängen unsere spezifisch deutschen Probleme ebenfalls zusammen. Wir können also unseren Kanzler verkloppen, wie wir wollen, er wird unsere Probleme nicht lösen – ebensowenig, wie es ein anderer täte.
Man mag nun argumentieren, dass der Schutz unserer Schnarchnasen von Autobauern gut für die Wirtschaft ist. Leider ist aber genau das der falsche Weg. Nehmen wir also mal die Probleme unter die Lupe – ohne Anspruch auf Vollständigkeit:

Arbeitslosigkeit
Wir haben über viereinhalb Millionen Arbeitslose – nach offizieller Statistik. In Wirklichkeit dürften wir von jenen unheilsschwangeren sechs Millionen der Vorkriegszeit nicht mehr arg weit entfernt sein. Zunehmende Rationalisierung und Automatisierung gehören zu den Ursachen. Wovon viel zu selten gesprochen wird, ist die unersättliche Gier der Konzerne, die, um ein paar Punkte auf dem Aktienmarkt herauszuschinden, eben mal ein paar tausend Leuten einen Tritt in den Hintern geben. Hinzu kommt eine steigende Nachfrage nach Arbeitsplätzen, weil man heutzutage mit einem Gehalt kaum noch in der Lage ist, eine Familie zu ernähren – das Problem ist somit unmittelbar mit der Teuerung verzahnt.

Preissteigerungen
Jeder merkt's: Die Preise klettern. Nein, es merkt nicht jeder. In die Vorstandsetagen dürfte davon nicht viel durchgedrungen sein. Und wenn schon, gönnt man sich halt ein paar Euro mehr, unabhängig davon übrigens, wie der Laden läuft. Sie glauben das nicht? Das sind Zahlen, die die großen Läden offenlegen müssen. Sie lassen sich, gegen Gebühr, im Internet herunterladen. Da stößt man schnell mal auf ein Unternehmen, das mehr Leute beschäftigt als im Vorjahr, aber wunderbarerweise weniger Personalkosten hat. Das 2003 weniger Gewinn als 2002 machte, aber dessen Vorstände sich trotzdem eben mal so nebenbei rund 20.000 Euro mehr pro Nase gönnen. Suchen Sie sich mal eine Aktiengesellschaft in Ihrer Gegend aus und investieren Sie zwanzig Euro – nicht für Aktien, sondern für die Bilanz.

Die Renten
Nein, machen Sie sich keine Sorge um Ihre Rente. Natürlich hatte Norbert Blüm seinerzeit gelogen, als er behauptete, die Renten seien sicher. Aber in Anbetracht dessen, was noch auf uns zukommen mag – siehe die weiteren Punkte –, wird die Rente zum gegebenen Zeitpunkt Ihr kleinstes Problem sein.

Umweltverschmutzung
Gottlob haben wir Deutschen so ein ausgeprägtes Gefühl für die Umwelt. Ein Beispiel: Wir trennen unseren Müll fein säuberlich und halten unser Land dadurch sauber, dass wir den ganzen Krempel ins Ausland schicken. Oder beim Einkaufen: Plastiktüten sind tabu – wir gehen politisch korrekt mit Jute- oder Leinentasche in den Supermarkt auf der grünen Wiese (weil man dort am besten parken kann). Haben Sie mal in Frankreich eingekauft? Unaufgefordert wirft Ihnen die Kassiererin ein Dutzend Plastiktüten hin, selbst wenn Sie nur einen Schokoriegel gekauft haben, den Sie ohnehin gleich essen wollten. Was machen die Franzosen mit den ganzen Plastiktüten? Sie kleiden daheim den Mülleimer in der Küche aus, schließlich landen die Tüten, mit Müll gefüllt, auf der Deponie. Skandal! Wir Deutschen machen das anders: Wir kaufen teure Mülleimerbeutel, natürlich chemisch behandelt, damit's nicht mieft, und lassen die dann samt Inhalt auf der Deponie vergammeln. Hm.

Ressourcenverknappung
Es ist abzusehen, dass die Erdölvorräte zu Ende gehen werden. Das betrifft nicht nur den Sprit für's Auto oder das Kerosin für den Mallorcaflug, sondern praktisch alles, was aus Kunststoff besteht. Oder haben Sie geglaubt, das Zeug wächst auf Bäumen? Sollte Gott tatsächlich existieren, hat er einen ausgeprägten Sinn für Humor: Der größte Teil des Erdöls auf diesem Planeten befindet sich in bzw. unter islamischen Ländern. Da müsste ein Christ eigentlich schon ins Sinnieren kommen...

Trinkwasserknappheit
Na und? Was geht's uns an? Wir haben hier so viel Trinkwasser, dass wir es sogar für die Klospülung verwenden können! Übrigens: Damit könnte man doch wunderbar den Export ankurbeln! 1,2 Milliarden Menschen haben keinen Zugang zu sauberem Wasser – ich meine, die Typen da unten in Afrika, die würden doch dafür praktisch jeden Preis bezahlen, und wir bekämen mit minimalstem Aufwand wieder unsere Wirtschaft in Gang! Hm, zu dumm, auf die Idee sind andere auch schon gekommen. Zum Beispiel das Unternehmen Thames-Water, das zur RWE gehört.

Klimaveränderung
Keiner kennt die genauen Ursachen, aber die Menschheit bastelt mit Sicherheit daran mit – und sei es nur, indem sie einen natürlichen Vorgang beschleunigt. Sollte es wärmer werden, können wir uns auf eine verlängerte Freibadsaison freuen. Wenn's kälter wird, müssen wir halt heizen. Äh – wie war das nochmal mit dem Erdöl?

Krieg und Terrorismus
Von deutschem Boden darf nie wieder ein Krieg ausgehen. Das gilt natürlich nicht für amerikanische Flugzeuge, die in Ramstein starten. Profitieren darf man vom Krieg freilich schon; das gehört zur Tradition etlicher deutscher Konzerne, nicht erst seit Adolf.

Überbevölkerung
Auf mittlerweile über sechs Milliarden bringt es unsere Spezies. Da können wir froh sein, dass seinerzeit der Neandertaler ausgestorben ist – oder ausgestorben wurde; es gibt ja Theorien, dass unser Cro Magnon-Urahn daran nicht ganz unbeteiligt war. Ein Großteil der Menschen lebt in Armut und schiebt Kohldampf. Wir gehören glücklicherweise nicht dazu: In einer englischen Studie wird die Befürchtung geäußert, die jetzt heranwachsende Generation könne die erste sein, die vor ihren Eltern stirbt, weil sie sich völlig falsch, vor allem viel zu fett, ernährt. Dies könnte zwar einerseits zur Lösung des Rentenproblems beitragen, andererseits könnten Menschen in Ländern, in denen die Gefahr sich totzufressen nicht besteht, auf den Gedanken kommen, sich ihren Anteil an Junkfood persönlich hier abzuholen, um etwas gegen ihr Untergewicht zu tun – womit wir wieder beim Thema "Krieg und Terrorismus" wären. Nebenbei atmen sechs Milliarden Menschen jährlich etwa 2,2 Milliarden Tonnen des Treibhausgases CO2 in die Atmosphäre – das entspricht ungefähr dem gesamten CO2-Ausstoß der Autos auf diesem Planeten im gleichen Zeitraum.

Realitätsverlust
So, belassen wir's mal dabei. Und nun, liebe Politiker, löst die Probleme gefälligst mal. Gar nicht so einfach, gell? Dummerweise sind diese Probleme derart ineinander verzahnt, dass der Gordische Knoten ein harmloses Schleifchen dagegen ist. Nehmen wir mal die Arbeitslosigkeit: Sie ist ebenso das Resultat gesellschaftlicher Entwicklungen wie der Gier der Konzerne, sie hängt mit dem Spartrieb verunsicherter Bürger zusammen (der seinerseits aus der drohenden Arbeitslosigkeit resultiert), mit der technischen Entwicklung, aber auch mit der weltwirtschaftlichen Lage, wobei der 11. September 2001 in vielen Fällen nichts weiter als eine blöde Ausrede ist. Hinzu kommen Politiker, die den Ernst der Sache wohl überhaupt noch nicht erkannt haben, so zum Beispiel Walter Döring (FDP). Der hatte Mist gebaut und trat nun von seinem Amt als Baden-Württembergischer Wirtschaftsminister zurück. Diesen Rücktritt nutzte er noch nebenher aus, um sich bei den Arbeitslosen einzuschleimen: "Ab 1. Juli bin ich auf Arbeitssuche, wie viele andere auch!"
Dieser Mann leidet offenbar an vollständigem Realitätsverlust: Es handelt sich um einen hochrangigen Politiker, der sein Abgeordnetenmandat im Landtag behält und der, wenn er mal wieder arbeiten will, nur bei seinen Kumpels in der Wirtschaft nachfragen muss, ob da noch irgendwo ein Pöstchen in einem Aufsichtsrat frei sei. Und nicht um einen Facharbeiter über 40, der nun irgendwie mit der Stütze seine Familie durchbringen muss und wegen seines Alters ohnehin keine berufliche Perspektive mehr hat.
Aber nun mal angenommen, man würde die Wirtschaft – irgendwie – wieder ankurbeln? Das schüfe doch Arbeitsplätze?

Ananas in Alaska
Freilich. Aber Wirtschaftswachstum bedeutet immer zugleich einen höheren Ressourcenverbrauch. Und den können wir uns nicht leisten. Und der höhere Ressourcenverbrauch bedingt gleichzeitig wieder mehr Umweltverschmutzung, die auch wieder zum Treibhauseffekt beiträgt. Vielleicht sollten wir alle künftig beim Autofahren die Luft anhalten, um den CO2-Ausstoß auszugleichen? Das trüge wiederum dazu bei, das Rentenproblem zu lösen, das ja auch wieder mit der Arbeitslosigkeit zusammenhängt. Andererseits, hätten wir alle wieder Arbeit, könnten wir mehr Geld ausgeben, und dann... na ja, vermutlich würden wegen der steigenden Nachfrage die Preise noch mehr steigen.
Gehen wir's mal von der anderen Seite an. Könnte man die schwindenden Erdölvorräte irgendwie ausgleichen? In Amiland soll's doch noch große Ölreserven geben? Nun ja, die gibt's da wohl auch, und zwar in Naturschutzgebieten. Alaska beispielsweise. Also, was soll's, wozu brauchen wir Alaska, solange wir billigen Sprit haben? Ohnehin viel zu kalt; mit einem ordentlichen Treibhauseffekt lässt sich dort in ein paar Jahren bestimmt gut Mais anbauen. Dann nämlich, wenn's dort auch kein Öl mehr gibt, ewig wird das Zeug da auch nicht reichen. Und das ist dann möglicherweise auch gar nicht für uns, sondern für die Inder und Chinesen.
Ja, die wollen nämlich auch ein Stück vom Kuchen haben. Golf statt Rikscha, heißt die Devise. Da habe ich vollstes Verständnis für. Meiner Frau würde es sicher auch nicht gefallen, wenn sie mich die ganze Zeit in so einem Ding hinterherziehen müsste.
Äh, also, was ich sagen wollte: Das ist ja auch ein gewaltiger Markt für unsere Autoindustrie. Nehmen Sie doch mal die Inder: Was hat deren Kraftfahrzeugindustrie schon zu bieten außer einem dieselgetriebenen Motorrad? Den Bossen der westlichen Automobilkonzerne beult sich vermutlich schon die Hose bei dem Gedanken: Eine Milliarde Inder und eine Milliarde Chinesen wollen Auto fahren! Das dürfte völlig genügen, um den einstigen Lebenstraum von Franz Josef Strauß selig zu verwirklichen: Den Anbau von Ananas in Alaska!
Also, das mit den Autos müssen wir unter diesem Aspekt entschärfen, das nützt alles nichts. Ihr wollt doch Reformen, Leute? Also: Dann werden die Autohersteller per Gesetz gezwungen, bis in, sagen wir, zehn Jahren, nur noch emmissionsfreie Autos zu bauen. Mit Wasserstoffantrieb oder sonstwie.

Vorschriften für Autobauer?
Oh, ich höre laute Aufschreie: Sind wir denn bei den Kommunisten? Man kann doch einen freien Markt nicht per Gesetz regulieren! Aber, Freunde und Nachbarn, weshalb denn nicht? Nehmen wir mal an, die Autohersteller kämen auf die Idee, ihre Modelle aus Kostengründen nur noch mit Seilzugbremsen, ohne Sicherheitsgurte, ohne Airbag und mit Holzbänken auszustatten (Hey, warum nicht? General Motors machte beispielsweise 1992 lächerliche 132 Milliarden Dollar Umsatz, und es würde mich wundern, wenn da in der Steuererklärung auch nur ein Cent Gewinn übrig geblieben wäre! Nebenbei bemerkt, lag das Bruttosozialprodukt Dänemarks in jenem Zeitraum deutlich niedriger). Und einen Auspuff gibt es nur noch gegen Aufpreis? Das dürfen die nicht, weil solche Autos eine Gefahr für Leben und Gesundheit darstellten. Da gibt es nämlich überall gesetzliche Regelungen. Unter anderem ist da in den meisten Ländern, weltweit, festgelegt (die Tropenzone vielleicht einmal ausgenommen), dass ein Auto mit einer Heizung ausgestattet sein muss. Die Sitzbezüge dürfen nur schwer entflammbar sein. Es muss eine Warnblinkanlage vorhanden sein. Und so weiter. Fassen wir noch einmal zusammen: Die jeweiligen Zulassungsgesetze schreiben den Automobilherstellern vor, wie sie ihre Autos bauen müssen. Und wenn ein Gesetz vorschreiben kann, dass die Neuzulassung eines PKWs ohne Katalysator nicht möglich ist – warum kann es dann nicht vorschreiben, dass Fahrzeuge mit Verbrennungsmotor ab dem 1. Januar 2014 nicht mehr neu zugelassen werden dürfen, um Leben und Gesundheit nicht noch mehr zu gefährden?
Freilich, das ist ein globales Problem. Da müssen alle an einem Strang ziehen. Andererseits: Welcher Autohersteller produziert denn heute noch PKWs ohne Katalysator? Das ging doch auch? Und: Es gibt weltweit nur noch rund ein Dutzend unabhängiger Hersteller. Bekommt man die nicht an einen Tisch?
Garantiert. Und zwar schon bei der ersten Ankündigung eines solchen Gesetzes. Die kommen aber nicht zusammen, um die Realisierung eines umweltfreundlichen Autos zu diskutieren, sondern um zu beraten, welche Politiker bestochen werden müssen, um das Gesetz abzubiegen. Die Mineralölindustrie wird desgleichen tun. Möglicherweise werden auch einige in die Angelegenheit involvierte Umweltaktivisten seltsame Unfälle erleiden, sehr bedauerlich, unser Mitgefühl gilt den trauernden Angehörigen.
Schwachsinn? Paranoia? Nun, Freunde und Nachbarn, haben Sie schon einmal von Karen Silkwood gehört? Die hatte seinerzeit, im Jahre 1974, auch so einen bedauerlichen Unfall, weil sie gegen die Atomindustrie vorging.

Wellblechdächer auf Reaktoren
Oh, gutes Stichwort! Mein Freund, das Atom! Umweltfreundlich, spottbillig und sicher! Man nutzt lediglich einen völlig natürlichen Vorgang, nämlich den Zerfall bestimmter Elemente, dazu aus, Energie in unerschöpflichen Mengen zu produzieren! Das Atom-Ei des Kolumbus! Was haben Sie gegen Atomkraftwerke? Die Dinger kochen doch auch bloß Wasser!
Es gibt eine Statistik, derzufolge ein GAU in einem Atomkraftwerk höchstens alle 10.000 Jahre stattfinden kann. Statistik taugt nun allerdings nur für Statistiker: Vom Beginn der Kernforschung bis zum ersten Super-GAU dauerte es keine fünfzig Jahre. Denkbar wäre auch, dass sämtliche AKWs weltweit innerhalb kürzester Zeit in die Luft fliegen – dann ist (gemäß Statistik) für sehr lange Zeit Ruhe. Das ist jedenfalls sicher.
Ein Onkel, der lange Jahre beim französischen Stromerzeuger EDF tätig gewesen war, versicherte mir 1986, dass so etwas wie in Tschernobyl bei uns ausgeschlossen sei. Die sowjetischen Atomkraftwerke seien längst nicht so sicher wie die deutschen oder französischen. Die Iwans nähmen ein bisschen Beton, erzählte er im breiten Elsässisch des Oberrheins, "un deno a Wallblachdachli druff, damit s nit ineragnet", sie seien (was natürlich nur im übertragenen Sinne zu verstehen war) also mit einem Wellblechdach versehen, auf dass es nicht hineinregne. Das "Wallblachdachli" von Tschernobyl bestand allerdings aus meterdickem Beton, man fand es später ein gutes Stück vom Reaktor entfernt. Ich erfuhr weiter, dass in Frankreich die Strahlungswerte überhaupt nicht gestiegen seien. Offenbar hatte der Fallout anständigerweise direkt am Rhein Halt gemacht.

Haar-Riss-Burg Fessenheim
Ein ach-so-sicheres französisches Kernkraftwerk steht in Fessenheim, etwa fünfundzwanzig Kilometer von meinem Schreibtisch entfernt, der sich seinerseits genau in Windrichtung befindet. Dieses Uralt-AKW, das auf den Spitznamen "Haar-Riss-Burg" hört (in Anspielung auf das US-Kernkraftwerk Harrisburg, das beinahe zum Tschernobyl-Vorläufer geworden wäre) ist eine Quelle permanenter Störfälle, bei denen aber bislang nur "geringe Mengen" an Radioaktivität freigesetzt worden seien, auch sei das Personal nur "geringfügig" verstrahlt worden. Na ja, und wenn die eines Tages Lungenkrebs kriegen, heißt es halt, die hätten zu viele Gauloises geraucht.
Ist denn Atomkraft wenigstens billig? Die Windkraftgegner verweisen da ja gerne drauf. Natürlich ist es richtig, dass Windkraftanlagen subventioniert werden. Das ist aber bei der Atomkraft auch der Fall: Hätten die Betreiber ihre AKWs aus eigener Tasche zahlen müssen, gäbe es heute in Deutschland (und wohl auch anderswo) keinen einzigen Atommeiler. Hinzu kommt die Entsorgung der Brennstäbe – da wird hochbrisantes Material einfach mal quer durch die Republik gefahren. Im Vorfeld entsteht aber schon eine Riesenschweinerei, nämlich bei der kraftwerkstauglichen Aufbereitung des spaltbaren Materials. Die benötigt eine Menge Energie und hochgiftige Chemikalien, aber davon redet bei den Energieunternehmen keiner gern. Ja, und wenn Atomenergie so sicher ist, weshalb schreiben denn sämtliche Versicherungen in ihren Klauseln, dass Schäden, die durch Kernenergie verursacht werden, nicht gedeckt sind? Trauen Sie keiner Versicherung, aber wenn's um die Schadenkalkulation geht, dürfen sie denen gerne glauben. Die müssen wissen, wie man Risiken einschätzt, sonst geht das Geschäft baden. Eher kriegt da ein Neunzigjähriger eine Lebensversicherung!

Seid fruchtbar und mehret euch
Also gut, nächster Lösungsansatz. Bremsen wir das Bevölkerungswachstum. Damit sollten wir uns aber beeilen, denn in der Zeit, die Sie brauchen, um "Kondom" zu sagen, ist schon wieder ein neuer Erdenbürger da. Sollen wir über den bevölkerungsreichen Ländern die Pille von Hubschraubern abwerfen? Au Backe, Freunde und Nachbarn, dann möchte ich aber mal den Vatikan hören! Gleichzeitig müssten ganze Gesellschaftssysteme umgekrempelt werden, die darauf basieren, dass zahlreicher Nachwuchs die Eltern dereinst versorgen soll. Die haben nämlich keine so tolle Rentenversicherung wie wir. Äh.
Andererseits ist das Bevölkerungsproblem eines, das sich von alleine lösen wird, wenn ungefähr zwischen acht und zwölf Milliarden Menschen auf diesem Planeten, nun ja, leben. Oder zumindest existieren. Hungersnöte, Krankheiten und Kriege dürften dann in verhältnismäßig kurzer Zeit den Bestand unter unser heutiges Niveau senken. Das löst einige andere Probleme gleich mit, ist aber irgendwie auch nicht so im Sinne des Erfinders.

Lösungen?
Ja, gibt es denn wirklich keine Lösung? Vielleicht doch. Immerhin haben sich schon etliche kluge Leute damit beschäftigt. Wenn Sie das in leicht verdaulicher Form nachlesen wollen, empfehle ich Ihnen den Roman "Eine Billion Dollar" von Andreas Eschbach. Unter anderem wird in einem Dialog die Möglichkeit aufgezeigt, was machbar wäre, würde man die Einkommensteuer abschaffen und durch eine Steuer auf Rohstoffe ersetzen. Steuern dienen, wie ja schon der Name sagt, dazu, zu steuern. Eine Steuer auf Tabakprodukte soll deren Gebrauch reduzieren. Eine Steuer auf Kraftstoffe soll deren Verbrauch senken. So weit, so logisch. Mit der Einkommensteuer wird konsequenterweise verhindert, dass wir Arbeit haben, weil die dadurch zu teuer wird. Es gibt in diesem Buch noch ein paar reizvolle Ansätze, zum Beispiel eine Steuer für Reiche. Und mit "reich" sind durchaus nicht jene gemeint, die sich ihr Einfamilienhäuschen vom Munde absparen, sondern Leute, die richtig dick Kohle haben. Wir sprechen hier über Millionen. Milliarden.
Nun haben aber dummerweise genau jene die Macht in Händen, um mit eben diesem Vermögen genau solche Reformen zu verhindern. Soll doch das gemeine Fußvolk blechen!

Weltrevolution gegen Globalisierung?
Ja, Freunde und Nachbarn, was wollen wir denn nun? Richtig durchgreifende Reformen, die vielleicht der Menschheit eine Zukunft garantieren können? Sind wir doch ehrlich: Es braucht radikale Lösungen, die der Problematik angemessen sind. Das bedeutet aber auch: Umverteilung. Sollten Sie hier zwischen den Zeilen "Revolution" und "rote Fahne" lesen, sollten Sie sich aber eine neue Brille besorgen. Das, was der Ostblock als "Sozialismus" verkaufte, war, ökologisch gesehen, auch nichts weiter als Kapitalismus in einer Mogelpackung. Und selbst wenn jemand den Ehrgeiz hätte, mit gereckter Faust die Revolution auszurufen, müsste er sich darüber im Klaren sein, dass er dann schon die Weltrevolution anzetteln müsste – Stichwort "Globalisierung".
Eine Radikalisierung von Globalisierungsgegnern könnte aber durchaus im Bereich des Möglichen liegen – bis hin zum Terrorismus, etwa nach dem Motto: "Entweder Die Da Oben oder wir alle". Damit dürfte ein Turban als Indiz für einen Attentäter nicht mehr ausreichen. Vielleicht wird dann jeder verdächtigt, der weniger als eine Million Euro im Jahr verdient. Das würde umfassende Überwachungsmaßnahmen, wie sie sich jetzt schon abzeichnen, natürlich voll und ganz rechtfertigen. Auch nicht das Gelbe vom Ei.

Verzagte Hoffnung
Ja, es ist schon ein erschreckender Gedanke, dass womöglich eines Tages Gewalt als Notwehr eingesetzt wird, um Schlimmeres zu verhindern – zum Beispiel der Tod von Milliarden Menschen. Leider ist die Zukunft nur eine Ansammlung von Möglichkeiten. Wer heute mordet, um ein größeres Übel zu verhindern, weiß im Grunde nicht einmal, ob er ein solches Übel tatsächlich vermieden hat. Nehmen wir mal Hitler – zugegebenermaßen ein heikles Beispiel in Ermangelung eines besseren: Angenommen, jemand hätte ihn 1933, gleich nach der Machtergreifung, ermordet. Bevor er also so richtig die Gelegenheit hatte, zum Verbrecher zu werden (auch wenn er schon vorher einer war, zumindest in geistiger Hinsicht). Der Mörder wäre vermutlich heute kein strahlender Held, sondern ein Killer, der einen Politiker umgelegt hat. Oh, klar, dieser Hitler hatte ein paar radikale Ansichten, aber, Gott, ja, nichts wird so heiß gegessen, wie es gekocht wird. Mit ihm ist aber damals die Hoffnung für Deutschland gestorben. So würde, schätze ich mal, heute die Geschichte urteilen. Wir feiern diejenigen, die gegen Hitler kämpften, deshalb, weil Hitler Gelegenheit hatte, der Welt zu zeigen, was für ein Verbrecher er war.
Hoffen wir, dass es nicht soweit kommt. Angesichts von Politikern, die überall auf dem Globus nur an Symptomen herumpfuschen, die Konzerne in Ruhe lassen und ausschließlich den einfachen Bürger zur Verantwortung ziehen, muss ich zugeben, dass meine Hoffnung reichlich verzagt daherkommt.

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