Horst Köhler: Symptomatisch für Deutschland?

© Eric Fricke

Nun, Freunde und Nachbarn, finden Sie es nicht auch symptomatisch, dass es ausgerechnet Horst Köhler ist, der ins Schloss Bellevue einzieht? Ich möchte dem Mann gar nicht unterstellen, dass er nicht kompetent wäre, wobei man sich natürlich auch darüber streiten kann, wo denn nun die Kompetenzen eines Bundespräsidenten liegen müssen. Manch einer fragt sich auch, was die ganze Aufregung solle, Bundespräsident sei doch ohnehin ein überwiegend repräsentatives Amt. Aha, das ist doch aber der Knackpunkt: Was repräsentiert Horst Köhler eigentlich? Dieses Land oder die neoliberale Globalisierung?

Ich möchte ihm gerne glauben, dass es ihm nur um das Land geht. In Köhlers bisheriger Laufbahn ging es indes vorrangig um Geld. Schauen wir uns doch einmal seinen Werdegang an: Köhler war nach seinem Studium von 1969 bis 1976 als wissenschaftlicher Forschungsassistent am Institut für angewandte Wirtschaftsforschung. Von 1976 bis 1989 war er in verschiedenen Funktionen im Wirtschafts- und Finanzministerium tätig. Von 1990 bis 1993 amtierte Köhler als Staatssekretär im Bundesfinanzministerium, zwischendurch fungierte er als stellvertretender Gouverneur für Deutschland in der Weltbank. Daneben hatte Köhler auch noch Zeit, bei der Vorbereitung diverser G7-Wirtschaftsgipfel mitzuwirken, so 1990 in Houston, 1991 in London, 1992 in München und 1993 in Tokio. 1993 wurde Köhler zum Präsidenten des Deutschen Sparkassen- und Giroverbandes ernannt, danach, ab 1998, war er im IWF, dem Internationalen Währungsfonds, Präsident der Europäischen Bank für Wiederaufbau und Entwicklung.

"Wiederaufbau und Entwicklung", das klingt ja gar nicht so übel. Das hat fast was von einem Begriff wie "Zivildienstleistender" oder "Sozialarbeiter". Diese Bank ist unter anderem für die Absicherung von Krediten zuständig, wenn zum Beispiel ein Unternehmen in einer etwas weniger privilegierten Gegend investieren will – wenn man so will, wird das Kapital flexibler. Das hört sich soweit auch noch relativ harmlos an. In der Praxis sieht das allerdings so aus, dass ausländische Investoren, dank des geringen Risikos, alles aufkaufen, was nicht niet- und nagelfest ist. Die Gewinne kommen aber natürlich nicht den betreffenden Ländern zugute, sondern fließen in die Industrienationen zurück.
Ja, Freunde und Nachbarn, geht es den Menschen in den ärmeren Ländern nicht trotzdem besser? Sie haben ja immerhin Arbeit, oder? Hm, schauen wir doch mal, wie das Coca Cola praktiziert.

Indien hat zunehmend ein Problem mit der Wasserversorgung. Verschärft wird diese Situation durch – Mineralwasser! Konzerne wie Nestlé, Pepsi und allen voran Coca Cola baggern wie die Blöden, um die Trinkgewohnheiten in Indien zu verändern (was auch durchaus wörtlich zu nehmen ist). Mit Erfolg, chemisch aufbereitetes Mineralwasser ist gefragt wie nie zuvor. Jedenfalls bei denen, die Kohle haben. Die anderen sollen halt gefälligst normales Wasser trinken, oder? Ja, sofern Coca Cola ihnen noch welches übriglässt.
Die Hindustan Coca Cola Beverages kaufte 1998 ein riesiges Gelände im Bezirk Palakkad in Kerala (wo immer das liegen mag). Dieses Gelände liegt inmitten des landwirtschaftlichen Anbaugebiets der Urbevölkerung der Adivasis. In der dort entstandenen Fabrik produziert der Konzern nun fleißig Getränke, der Ausstoß liegt bei rund 50.000 Kisten pro Tag. Da braucht es Wasser ohne Ende, deshalb gibt es da auch 60 Tiefbrunnen, die täglich rund 15 Millionen Liter Wasser liefern. Davon geht allerdings nur ein kleiner Teil in die Produktion – der Großteil des Wassers geht für die Reinigung der Flaschen drauf! Und? Geht das jemanden was an? Immerhin gehört das Gelände, wie auch ein Firmensprecher deutlich betonte, Coca Cola! Tja, dummerweise vertrocknen im Umkreis von fünf Kilometern die Felder, weil der Grundwasserspiegel sinkt, und das Wasser in den Dörfern ist inzwischen total versalzen. Aber hey, Freunde und Nachbarn, Coca Cola hat die Leutchen dort nicht hängen lassen! Das Unternehmen schenkte den Bauern den Restschlamm aus der Produktion zum Düngen. Na ja, war gut gemeint, hat aber nicht so geklappt – jetzt ist halt auch noch der Boden verseucht. Konsequenzen gibt es für Coca Cola keine: "Es gibt schließlich keine Gesetze über den Umgang mit Grundwasser." Und wenn das Wasser zur Neige geht? Oh, da hat der Konzern bereits die Pläne in der Schublade: Dann wird die Fabrik ein paar Kilometer weiter, nach Tamilnadu, verlegt.
Also, wenn Sie nachher eine Coke aus dem Kühlschrank holen, vergessen Sie nicht, auf das Wohl unseres Bundespräsidenten zu trinken!

Ein Banker als Bundespräsident... ja, ich kann nicht leugnen, es passt zur Situation in Deutschland. Vielleicht deutet sich da eine künftige Tendenz an? Ein Autoboss als Kanzler? Ein Manager eines Pharmakonzerns als Gesundheitsminister? Der Chef eines Stahlkonzerns als Verteidigungsminister? Und die Umbenennung des Landes in "Bundesrepublik Deutschland AG"?

"Wir müssen die Spaltungen in unserer Gesellschaft überwinden. Das werden wir aber nur schaffen, wenn wir ihre Ursachen bekämpfen und nicht nur Symptome beschreiben." Zitat aus der Antrittsrede Köhlers. Meint er damit, dass man auch den entsprechenden Unternehmen auf die Füße tritt? "Es gibt soziale Härten, weil Einschnitte Menschen treffen, die ohnehin nicht viel haben." Wie wahr – und zwar praktisch ausschließlich. Arbeitslose sollen nach einer gewissen Zeit jeden Job annehmen müssen, denn die können sich ja dann hocharbeiten und später wieder mehr verdienen, nicht wahr? Aber so sehr ins Detail ist Horst Köhler dann wieder nicht gegangen. "Die Erneuerung Deutschlands", ja, das klingt gut, das klingt optimistisch, auch wenn es sich wie der Name einer DDR-Zeitung anhört, aber hier bin ich wohl wieder zu bösartig.

Horst Köhler kann aber nur hoffen, dass die Leute den folgenden Satz nicht als Handlungsaufforderung verstehen: "Mut zur Zukunft sollte uns nicht zuletzt die Erinnerung daran machen, was vor 15 Jahren in Deutschland geschah: Den Menschen in Ostdeutschland gelang eine friedliche Revolution."

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