Krach um's Juze

© Eric Fricke

Schiedsrichter, Telefon
Folgen Sie mir bitte einmal nach Freiburg zum Dreisamstadion. Mist, und schon habe ich den Einstieg versaut. Das Stadion ist ja jetzt nach dem Konzern benannt, der unseren Waldkircher Stadtwerken den Krieg erklärt hat. Also: Badenova-Stadion.

Dessen Anwohner (die nach wie vor an der Dreisam angesiedelt sind) haben's ja nicht leicht: Bei jedem Heimspiel wälzt sich der Verkehr nicht nur durch die Schwarzwaldstraße, sondern auch durch die umliegenden Schleichwege, in denen der Fan des (Noch-)Erstligisten SC Freiburg auch gerne zu parken pflegt. Es folgen fast zwei Stunden lang die obligatorischen Schlachtengesänge, entweder abwechselnd von den Unterstützern des SC und den Anhängern des Gegners, manchmal auch gemeinsam, jedoch selten in einer gemeinsamen Tonart, gelegentlich unterbrochen von kollektiven Ausrufen wie "Tooor!", "Foul!" oder dem Klassiker "Schiedsrichter, Telefon!". Wälzt sich die Fangemeinde nach dem Abpfiff aus dem Stadion, verspürt so mancher ob des genossenen Biers einen gewissen Druck und entleert seine Blase in einen der umliegenden Vorgärten. Ja, das ist freilich etwas unangenehm (an warmen Tagen verbreitet sich gerne ein leichter Ammoniakdunst), aber andererseits ist Fußball natürlich ein Riesengeschäft, da stehen Umsätze dahinter, da hängen Arbeitsplätze dran, und sei es der von Volker Finke. Dafür muss man schon mal die eine oder andere Ungelegenheit in Kauf nehmen, andere hängen sich da schließlich auch kräftig rein: Die Polizei, die in ordentlicher Personalstärke antritt oder die VAG, die Extra-Straßenbahnen im Dutzend auffahren lässt.

Vergessen wir auch nicht, was so ein Verein für die Jugend leistet! Und die Jugend ist bekanntlich unsere Zukunft! Nebenbei, Urin soll ja ein ausgezeichneter Dünger sein.

Lieb Vaterland, magst ruhig sein
Auch im Waldkircher Juze gibt es Gesänge, die Polizei ist ebenfalls öfter im Einsatz, nur Lob dafür gibt es nicht. Denn das Waldkircher Juze existiert aus reinem Selbstzweck: Es ist für die Jugend da. Und das genügt heutzutage natürlich nicht mehr.

Kurze Rückblende: Am 29. Oktober besuchte ich eine Veranstaltung zu Hartz IV. Ein Satz, der dort immer wieder fiel: Es muss mehr getan werden für junge Menschen! Aber selbstverständlich bezog sich dieser Satz ausschließlich darauf, dass diesen jungen Menschen die Gelegenheit gegeben werden muss, gewinnbringend tätig zu sein, Steuern zu zahlen und für unsere Rente zu sorgen. Sonst kommen sie am Ende noch auf dumme Gedanken und hängen völlig unproduktiv im AJZ herum.

Wieviel Engagement und Energie nötig ist, ein Jugendzentrum zu führen und Veranstaltungen zu organisieren, interessiert keinen. Der wesentliche Punkt: Das Juze macht Krach, die Anwohner fühlen sich gestört, und wenn sich das nicht ändert, wird der Laden dicht gemacht. Punkt. Nebenbei, es ist nicht laute Musik, die stört, es ist Krach. Bekanntlich ist jede musikalische Äußerung, die Jugendliche von sich geben, Krach. Daran hat sich seit meiner Jugend nichts geändert. Ob von Metallica breitgefächerte Harmonien im 7/8-Takt, ob Blues-Pentatonik, ob im klassischen Gitarrenstil gezupfte Moll-Kadenzen à la Led Zeppelin oder schnelle 16tel-Triolen, wie sie Ritchie Blackmore bei Deep Purple gerne spielte: Krach, Krach, Krach. Alleine schon dieser Standpunkt könnte einen dazu bringen, eine große Anlage aufzufahren und den Nachbarn die Scheiben erzittern zu lassen. Vielleicht mit Beethovens Fünfter in Originallautstärke. Oder noch besser, Tschaikowskys "1812", nur echt mit den Kanonenschüssen. Mal sehen, welcher Banause es wagt, das als Krach zu bezeichnen.

Natürlich müssen die Probleme mit den Nachbarn gelöst werden. Mir drängt sich nur der Eindruck auf, der ideale Jugendliche trifft sich mit seinen Freunden allenfalls bei einer Tasse Tee zum gepflegten Schachspiel. Hauptsache, die Jungs und Mädels stören nicht.

Um das zu erreichen, wurden jetzt sämtliche musikalische Veranstaltungen im Juze verboten. Ich frage mich, was geschehen würde, wenn die Juze-Leute auf die Idee kämen, einen gemischten Chor zu gründen und a capella-Liederabende zu veranstalten. Repertoire: "Lieb Vaterland, magst ruhig sein." Oder gilt das Verbot nur für Kra..., äh, Rockmusik?

Jugend in den Knast?
Gut, auch ich habe nicht gerne zu jeder Uhrzeit Musik im Schlafzimmer (beim Stadtfest fragt mich allerdings auch keiner). Aber man könnte ja darüber sprechen, ob es möglich ist, Konzertveranstaltungen auszulagern. Nur – wohin? Es gibt in Waldkirch keine einzige Musikkneipe mehr. Der einzige Ort, wo man gelegentlich noch eine Chance hat, Livemusik zu hören, ist der Grieche am Mittwochabend, wenn NX4U, von der Probe kommend, mal die Akustikgitarren auspackt, damit Kosta eine Runde ausgibt. Die Hallen sind zu groß, zu teuer oder beides, abgesehen von den Problemen mit der Bewirtung. Was gäbe es denn noch an Schalldichtem im Städtle? Ja, Freunde und Nachbarn, wir hätten doch noch ein leerstehendes Gefängnis, dicke, solide Mauern, tiefe Keller... aber da höre ich schon die Bewohner der Gutenbergstraße schreien: "Jugendliche? Hier?!? Dann doch lieber wieder Knackis!" Ergo: Wieder ein Stück Kultur weniger in Waldkirch, den Jugendlichen bleibt wieder einmal mehr das Gefühl, nicht viel zu zählen. Logisch, Freunde und Nachbarn, Ihr zahlt ja auch keine Steuern und Euer Laden ist in wirtschaftlichem Sinne völlig unproduktiv. Gründet doch in dem Viertel (ist ja Gewerbegebiet!) ein Hammerwerk und produziert rund um die Uhr. Wenn sich dann jemand über den Krach beschwert, droht Ihr einfach damit, Arbeitsplätze abzubauen.

Zum Trost vielleicht noch zwei Anekdoten am Rande: Es gab in Freiburg mal eine Musikkneipe namens "Goldene Krone". Das war, als ich noch jung war, sprich: kurz nach dem Aussterben der Dinosaurier. Jedesmal, wenn in der Zeitung ein Konzert in der "Krone" angekündigt war, rief ein Nachbar des Lokals bei der Polizei an und beschwerte sich. Die Telefongespräche dürften nicht ganz einfach gewesen sein, denn der Nachbar, schon in fortgeschrittenem Alter, war fast taub. Der Polizei blieb indes nichts anderes übrig, als vor Ort zu erscheinen und darum zu bitten, leiser zu drehen. Eines Abends kam wieder der obligatorische Anruf, aber als die Polizei die "Goldene Krone" betrat, fand sie den Laden völlig leer: Das Konzert war nämlich wegen einer Erkrankung des Sängers ausgefallen...

Vor einiger Zeit traf ich bei einem Fest DOL-Stadtrat Jo Rothmund und Felicitas Adobatti vom Theaterverein. Der Jo nachdenklich: "Also, ich verstehe das durchaus, wenn da einer während eines Konzerts die Tür aufmacht, vibrieren den Leuten in der Nachbarschaft schon mal die Betten." Die Feli, ganz pragmatisch: "Vielleicht sollte man den Leuten mal sagen, was man für tolle Sachen in einem vibrierenden Bett machen kann."

Dem kann ich nur voll zustimmen!


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