"Genpolizei! Sie sind verhaftet!"

© Eric Fricke

DNA schneller als Daisy
Während die Boulevardpresse noch darüber spekulierte, ob Hund Daisy den Mörder identifizieren könne, verhaftete die Polizei den Täter. Die schnelle Aufklärung des Mordes an Rudolph Moshammer lässt nun die Law-and-Order-Fraktion vorpreschen und händereibend verkünden, dass nun die Gesetze geändert werden müssten, um künftig bei jedem, der sich irgend etwas zuschulden hat kommen lassen, einen DNA-Test zu machen. Hach, es passt ja auch alles so gut: Ein etwas kauziger, aber sozial sehr engagierter Mensch wird aus Habsucht von einem Iraker (ich dachte, die sitzen alle in Guantanamo?) umgebracht, während Daisy ängstlich wimmert! Das schafft Emotionen an den Stammtischen: Ja zur DNA-Fahndung! Manch einer mag vielleicht insgeheim bedauern, dass der Mörder nicht die Hundeleine als Tatwaffe benutzte, dann hätte wirklich alles gepasst!

Risiko Haarausfall
Während Grüne und FDP eine Gesetzesänderung unter Hinweis auf die Bürgerrechte ablehnen, gibt es eine breite Front der Zustimmung seitens der Union, der SPD, des Bundes Deutscher Kriminalbeamten und der Gewerkschaft der Polizei. Dass Edmund Stoiber zu denen gehört, die am lautesten schreien, verwundert nicht. Zitat: "DNA-Analysen führen dazu, dass Täter nicht mehr ungestraft davon kommen." Oder dazu, dass Unschuldige eingelocht werden, weil die DNA-Analyse angeblich ein absolut sicheres Beweismittel ist. Denn, Freunde und Nachbarn, wie groß ist die Wahrscheinlichkeit, dass ein Verbrecher Ihre oder meine Fingerabdrücke am Tatort hinterlässt? Falls Sie aber zum Beispiel an Alopecie (zu Deutsch: Haarausfall; von Zeit zu Zeit muss man ja seine Bildung unter Beweis stellen) leiden, sollten Sie darauf achten, wo Sie ihr genetisches Material verlieren. Angenommen, ich wollte jemanden ermorden – wer sollte mich daran hindern, in der Kneipe an der Garderobe ein paar Haare und Schuppen vom Kragen Ihrer Jacke mitzunehmen und beim Opfer zu deponieren? Ach so, Sie meinen, das sei kein Problem? Das würde die Polizei allenfalls erst einmal auf eine falsche Fährte locken? Aber Sie, als unschuldiger Bürger, hätten doch kein Vergleichsmaterial bei der Polizei abgegeben? Hm, noch nicht. Derzeit ist ja auch die Teilnahme bei Massen-Gentests freiwillig. Das kann sich aber, wenn es nach Polizei und Politik geht, schnell ändern – wer dann nicht mitmacht, landet womöglich schneller im Knast, als er "Desoxyribonukleinsäure" sagen kann.

Genanalyse bei Ladendieben?
Seit 1998 darf der "genetische Fingerabdruck" besonders gefährlicher Straftäter beim Bundeskriminalamt gespeichert werden. Inzwischen sind dort rund 400.000 Datensätze erfasst – monatlich kommen laut Innenminister Otto Schily etwa 7.000 neu hinzu. Dabei stammen 17 Prozent der DNA-Spuren von bis dato unbekannten Personen.

Angenommen, man würde bei jeder Strafttat, bei der heute eine herkömmliche erkennungsdienstliche Behandlung vorgenommen wird, auch eine DNA-Analyse vornehmen – also auch bei Ladendiebstahl oder Sachbeschädigung –, würde das BKA über die genetischen Merkmale eines nicht unerheblichen Bevölkerungsanteils verfügen. Selbst wenn die Polizei für ihre Arbeit lediglich acht bestimmte Abschnitte der DNA-Sequenz begutachtet, verfügt sie zumindest theoretisch über wesentlich mehr Informationen: Schon heute ist es möglich, bestimmte Krankheiten aus der DNA zu analysieren. Allerdings dürfen unsere Freunde und Helfer das laut Gesetz nicht. Das ist doch ungemein beruhigend, oder?

Zwillinge als perfekte Verbrecher
Nebenbei ist die vielgerühmte "absolute Sicherheit" der Bestimmung einer Person auch nicht gegeben – eineiige Zwillinge besitzen kein individuelles DNA-Muster. Natürlich ist das Risiko verschwindend gering, dass man eine Probe einer falschen Person zuordnet – es liegt bei 1:700.000.000, sprich: rein statistisch könnte es weltweit 8,5 Menschen mit einem identischem DNA-Muster geben –, aber man sieht eben: nichts ist wirklich absolut.

Dass Otto Schily der letzte ist, der sich dadurch irritieren lässt, ist nicht neu. Unter anderem erhofft er sich von einer noch umfassenderen Gen-Datenbank auch eine abschreckende Wirkung für potenzielle Verbrecher. Das klingt absolut logisch und plausibel – schließlich werden ja auch in Ländern, in denen es die Todesstrafe gibt, keine Morde begangen, nicht wahr?

Nun, wenn Schily bei einer Fee einen Wunsch frei hätte, würde in Zukunft bei jedem Neugeborenen als erstes eine DNA-Analyse gemacht und die Daten lebenslang aufbewahrt werden. Aber selbst eine Aufbewahrungszeit von 20 Jahren erfordert ein gerüttelt Maß an Verantwortung von den zuständigen Behörden. Angenommen, die Gentechnik hätte bereits in den Zwanzigerjahren des letzten Jahrhunderts den heutigen Stand gehabt – nicht auszudenken, was mit den Datenbanken ab 1933 passiert wäre. Man mag sich allenfalls damit trösten, dass die in 20 Jahren im Einsatz befindlichen Rechner die heutigen Datenträger vermutlich nicht mehr lesen können...

Bleibt noch eine Frage: Man hat den Mörder Moshammers dank der DNA-Analyse innerhalb von zwei Tagen gefunden – und zwar im Rahmen des bestehenden Rechts. Das scheint demnach doch prima zu funktionieren. Weshalb also, Freunde und Nachbarn, sollte man die Gesetze ändern?

18_01_05

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