Waldkirch: Neuer oder alter Rathaus-Chef?

© Eric Fricke

Waldkirchs Bürgermeister Richard Leibinger: Eine politische Urgewalt, unaufhaltsam wie die Kontinentaldrift. Sein Markenzeichen ist sein fotografisches Gedächtnis – was auch schon der eine oder andere bedauert hat. Wer manche seiner Reden gehört hat, fühlte sich bisweilen in die Glanzzeiten eines Herbert Wehner zurückversetzt; gelegentlich ebenso polemisch, rhetorisch jedenfalls unbestreitbar auf ähnlich hohem Niveau. Ein viertes Mal stellt er sich nun zur Wahl – "Ein bisschen viel für eine Demokratie", meint Herausforderer Meinrad Bumiller in einem Interview mit der Hohenzollerischen Zeitung.

Es dürfte in der Tat dieses Mal nicht leicht werden für Richard Leibinger. Meinrad Bumiller ist – das gibt man auch bei der SPD, der Partei des Amtsinhabers, zu – ein ernstzunehmender Gegenkandidat. Dies übrigens im Gegensatz zu Last-Minute-Kandidatin Bettina Steinbach, die sich darauf beschränkt, ihren einstigen Lehrherrn Leibinger der Lüge und der Rechtsbeugung zu bezichtigen, ohne dabei konkret zu werden. Einen Wahlkampf führt sie nicht: "In Waldkirch kennt mich sowieso jeder." Auch ihre übrigen Aussagen in der lokalen Tagespresse wirken mitnichten erfrischend-frech, wie sie das vielleicht selbst meint, sondern schlicht arrogant, stellenweise sogar mit leicht megalomanischen Zügen.

Zweifellos hat Richard Leibinger in den vergangenen 24 Jahren Hervorragendes geleistet – das geben selbst seine politischen Gegner unumwunden zu. Andererseits hatte er in dieser Zeit genügend Gelegenheit, um, wie es neulich während einer Stammtischrunde so drastisch wie treffend formuliert wurde, "zu vielen Leuten vor den Koffer zu scheißen". Seine verbalen Breitseiten haben auch genügend Leute getroffen, die das sicher nicht verdient hatten. Das war durchaus auch das Resultat aus Richard Leibingers Lebensweise – vielen Waldkirchern waren seine gelegentlich in angeschlagenem Zustand absolvierten öffentlichen Auftritte ein Dorn im Auge. Aber: Diese Probleme in den letzten Jahren in den Griff bekommen zu haben und wieder zur alten Stärke zurückzukehren, ist eine Leistung, die außerordentlichen Respekt verdient.

Leibinger biedert sich nicht an; er besucht gemeinsam mit seiner Frau Monika öffentliche Veranstaltungen bevorzugt dann, wenn er persönlich daran interessiert ist. Dort trifft man dann einen gut gelaunten, ausgeglichenen Bürgermeister, der in der Lage ist, aus dem Stegreif eine brillante Rede zu halten. Monika Leibinger ist an dieser positiven Entwicklung nicht unbeteiligt, im Gegenteil. Ein häufiger Satz, den sie in den vergangenen Monaten hören durfte, war "Du hast uns unseren alten Richard wieder zurückgegeben".

Und dennoch: Die Stimmung in Waldkirch ist nicht mehr so eindeutig auf Seiten Leibingers wie bei der letzten Wahl. Fragt man mal nach, stellt sich heraus, dass das keineswegs immer mit der Person des Amtsinhabers zusammenhängt, sondern mit "Seilschaften, die sich über die Jahre gebildet haben", es ist die Rede von "verkrusteten Strukturen" im Rathaus, von "selbstherrlichen Amtsleitern", die "quasi als Neben-Bürgermeister" tun, was sie wollen. Ein Satz, der häufig fällt: "Weißt du, mit Richard Leibinger könnte ich leben – aber nicht mit dem Apparat dahinter."

Nun bringt es eine Bürgermeisterwahl halt so mit sich, dass man nicht die Verwaltung wählt, sondern – wie es der Name schon sagt – den Bürgermeister. Wer das Rathaus umkrempeln will, muss ihm notgedrungen per Stimmzettel einen neuen Chef verpassen.

Laut www.waldkirch.info heißt der ohnehin Meinrad Bumiller. Sicher ist die dort laufende Umfrage nicht repräsentativ (dazu muss man wissen, wie solche Umfragen technisch funktionieren, aber auch, wer hinter der Website steht), aber laut Stand vom 18. Februar hat Bumiller mit 58,5 Prozent die Nase vorn. Leibinger bringt es auf 39,4 Prozent und Bettina Steinbach auf 2,1 Prozent – ohne unterstellen zu wollen, dass die beiden Stimmen von ihr und ihrem Mann stammen.

Meinrad Bumiller ist keiner, der lautstark vorprescht. Er wägt ab, aber er ist kein Zauderer – und er schreckt keinesfalls vor radikalen Entscheidungen zurück. Er hätte zweifellos Karriere als katholischer Priester machen können – seine Fähigkeit, Intellekt mit menschlicher Wärme zu verbinden, hätten ihn dafür geradezu prädestiniert. Ein für seine Vorgesetzten bequemer Geistlicher wäre er damit aber sicher nicht gewesen. Seine Entscheidung für Frau und Familie (er ist verheiratet mit Mechtild Ganter, der Leiterin der Hospizgruppe "Silberstreif") hatte ihm seinerzeit gerade bei den jüngeren Waldkirchern sehr viel Sympathie eingebracht – just bei denen also, die altersmäßig heute zu den Meinungsbildnern im Städtle gehören. Aber auch wildfremde Menschen gehen auf Meinrad Bumiller zu, sind angetan von seinem "Bruch in der Biografie", freuen sich darüber, dass er "kein stromlinienförmiger Polit-Profi" sei.

Dennoch kann man ihm sicher nicht unterstellen, dass er keine Ahnung von Politik hat. Dass er die Arbeit einer Stadtverwaltung mehr aus der Theorie denn aus der Praxis kennt, mag da schon eher ein Manko sein; dass er in der Lage ist, sich entsprechend einzuarbeiten, nimmt man Bumiller indes aber durchaus ab. Ob man eine Verwaltung allerdings überwiegend unter marktwirtschaftlichen Gesichtspunkten betrachten kann? Ist es sinnvoll, in einer Kleinstadt im Schwarzwald mit Begriffen wie "Globalisierung" um sich zu werfen? Ist denn unsere Welt tatsächlich eine bessere geworden, weil Geld, Wirtschaftsgüter und Waffen inzwischen ungehinderter über den Globus wandern?

Bliebe noch die Frage nach den "Seilschaften". Es ist naiv zu glauben, mit einem Bürgermeister Bumiller gäbe es keine mehr – man kann davon ausgehen, dass die entsprechenden Leute bereits in den Startlöchern stehen...

Mit Sicherheit wird die Wahl am 11. März spannend. Die 24 Jahre Erfahrung Richard Leibingers sind kein Pappenstiel. Aber Meinrad Bumiller ist auch alles andere als ein Pro-Forma-Kandidat, der sich halt mal bewirbt, um der Demokratie Genüge zu tun. Sollte er es schaffen, wird er sich allerdings mächtig ins Zeug legen müssen, denn die Fußstapfen, die Richard Leibinger in den vergangenen fast zweieinhalb Jahrzehnten hinterlassen hat, sind reichlich groß.

25_02_07

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