Angst und Repression: Die Politik des 21. Jahrhunderts

 

© Eric Fricke

Die deutsche Leidkultur
Deutschland, einig Amokland. Während das Gejammere darüber groß ist, dass die deutsche Bevölkerung mangels Nachwuchs dereinst aussterben wird, errichtet man immer höhere Barrikaden, um Ausländer fernzuhalten. Zum Beispiel mit einem umfangreichen Fragekatalog, mit dem geprüft werden soll, ob irgend so ein Handtuchkopf oder Kameltreiber überhaupt in der Lage ist, die deutsche Leitkultur zu würdigen. Es kann und darf nicht sein, dass sich hier Leute niederlassen wollen, die im Zelt leben und ständig ihre Frauen verprügeln – von Terroristen, die bekanntlich neunzig Prozent der arabischen Bevölkerung ausmachen, einmal ganz abgesehen!
Die Liste der Fragen wurde mittlerweile veröffentlicht, und ihr Studium lässt nur einen Schluss zu: Würde man diese Fragen dem gemeinen Michel als Bedingung für den Verbleib in diesem Lande vorlegen, müsste man etwa siebzig Prozent der Bevölkerung stante pede ausweisen – schon die Ergebnisse der PISA-Studien legen das nahe. Dabei sind die rund hundert Fragen des Katalogs völlig überflüssig, eine einzige würde schon genügen, um zielgruppengerecht die Spreu vom Weizen zu trennen. Mein Vorschlag:

Ihre Nachbarn laden Sie zum Grillfest ein. Dort bietet man Ihnen ein Glas Bier und eine aus Schweinefleisch hergestellte Grillwurst an. Wie reagieren Sie?
a) Sie nehmen beides, beißen herzhaft in die Grillwurst und kippen das Bier auf ex.
b) Sie lehnen dankend unter Hinweis auf Ihre Religion ab und bitten um ein Glas Mineralwasser und einen Salat.
c) Dies ist genau der richtige Moment, um den unter Ihrer Jacke verborgenen Sprengsatz zu zünden.
Bei Antwort a) wird dem Antrag auf Zuzug stattgegeben, bei b) wird lediglich eine befristete Aufenthaltserlaubnis erteilt; eine Überwachung durch den Verfassungsschutz ist empfehlenswert. Bei Antwort c) ergeht ein sofortiges Amtshilfeersuchen an die amerikanische Regierung, die Überstellung des Kandidaten an die CIA und seine umgehende Deportation nach Guantanamo.

Da am deutschen Wesen bekanntlich die Welt genesen soll (na, von wem stammt das Zitat? Bismarck oder Willizwo?), muss ein Bewerber um eine Aufenthaltserlaubnis natürlich ein ordentliches Deutsch sprechen. Ey, krass, Alter, das finde ich voll cool! Einige deutsche Schulen wollen ja ohnehin die Pflicht zur deutschen Sprache auf den Schulhöfen einführen. Schlechte Zeiten für Dialektsprecher und pflichtbewusste Schüler, die vor der Klassenarbeit in der Hofpause eben nochmal mit dem Klassenprimus die englischen Vokabeln durchgehen wollen. Es ist aber anzunehmen, dass es eine Ausnahmeregelung für die dänische Minderheit in Norddeutschland gibt, da sich die dänische Presse schließlich besonders um die interkulturelle Kommunikation bemüht hat.
Denkbar ist übrigens, dass die erneute Reform der Rechtschreibreform eigens eingeführt wurde, um hier die Schwelle noch etwas höher zu legen – wenn die Deutschen das schon nicht mehr blicken, sollte man Ausländer erst recht abschrecken können. Aber das nur am Rande...
Das obige Zitat stammt übrigens von Kaiser Wilhelm II.

Moses, der cholerische Araber
Sprechen wir doch einmal über Lügen. Da unsere Leitkultur bekanntlich christlichen Ursprungs ist (ja, auch unsere Politiker legen darauf immer mehr Wert; schlechte Karten für Darwin im Bio-Unterricht), ist uns das Lügen verboten. Das steht auch schon in der Bibel: Moses (der übrigens, wie auch Jesus, aus einem arabischen Land stammte), hatte die entsprechenden Vorschriften persönlich von Dem Da Oben entgegengenommen. Leider existieren die Gesetzestafeln nicht mehr, da Moses sie anlässlich eines cholerischen Ausbruchs zerdeppert hatte – typisch Südländer eben. Ein Backup wurde erst später erstellt, was der Grund sein mag, weshalb die Zehn Gebote inzwischen eher als unverbindliche Empfehlungen betrachtet werden. Wer lügt – darauf hatte der Pfarrer in meiner Kindheit stets hingewiesen – kommt in die Hölle. Dann sollten wir doch schleunigst ein besseres Leben führen, um nicht nach unserem Ableben mit Politikern, Medienbossen und Konzernchefs zusammenzutreffen. Dass gerade diese dem Vernehmen nach häufige Saunabesucher sind, hängt wohl weniger damit zusammen, dass sie sich für das Tagesgeschäft fit halten wollen, es scheint eher eine prophylaktische Abhärtungsmaßnahme zu sein. Beginnen wir doch mit der ersten Lüge, die so sinngemäß vor kurzem im Kommentar der Badischen Zeitung stand und die so auch von anderen Organen regelmäßig kolportiert wird:

Es wird noch eine Weile dauern, bis wir wieder Vollbeschäftigung haben.
Besichtigen wir einmal die Montagehalle eines beliebigen deutschen Automobilherstellers. 1970 hatten da 800 Leute fleißig gewerkelt und mit großer Sorgfalt der Deutschen liebstes Kind produziert. Heute entdeckt man in der nämlichen Halle vielleicht noch fünf Leute, die schauen, ob die Roboter anständig werkeln (was sie, betrachtet man die sinkende Qualität deutscher Autos, offenbar nicht tun). Preisfrage: Wann werden in dieser Halle wieder 800 Mitarbeiter Autos zusammenschrauben? Antwort: Nie mehr. Ähnlich verhält es sich in anderen Branchen. Die technische Entwicklung der letzten Jahrzehnte macht immer mehr Arbeitsplätze schlicht überflüssig. Unmittelbar damit hängt die nächste Lüge zusammen:

Die technische Entwicklung schafft wieder neue Arbeitsplätze.
Das tut sie in gewissem Umfang in der Tat – aber glaubt jemand ernsthaft, dass die entlassenen 795 Autowerker nun alle in einer Chipfabrik arbeiten? Pustekuchen – dort werden auch nicht mehr Leute gebraucht als in der Automobilfabrik. Macht demnach einen Überschuss von 790 Arbeitskräften. Freilich ist dieses Beispiel stark vereinfacht – aber grundsätzlich sieht die Situation hierzulande eben so aus. Daran ändert auch die nächste Lüge nichts:

Ein Großteil der Arbeitsplätze wird ins Ausland verlagert.
Eine Umfrage im Freundeskreis, wieviel Prozent der Millionen von Arbeitsplätzen, die bei uns verschwinden, wieder im Ausland auftauchen, erbrachte Schätzungen in Größenordnungen um die dreißig Prozent. Tatsächlich sind es nicht mehr als zwei bis drei Prozent – die übrigen 97 Prozent der abgebauten Arbeitsplätze sind schlicht und einfach weg. Futsch. Im Eimer. Existieren nicht mehr. Aber die Lüge von der massenhaften Verlagerung von Arbeitsplätzen in Niedriglohnländer ist viel besser geeignet, Sündenböcke zu präsentieren – wohlgemerkt: nicht die Unternehmen, die die Arbeitsplätze verlagern, sondern die Ausländer, die sie uns "wegnehmen". Und dann sollen wir die auch noch in unser Land lassen?!? Zitieren wir an dieser Stelle einfach einmal die Nachrichtenübersicht von Yahoo am 18. April: "Fremdenfeindlicher Mordversuch in Potsdam". Kein weiterer Kommentar. Oder doch vielleicht jenen, den Wolfgang Schäuble zu diesem Verbrechen abgab, weil er kurz nach der Tat kein fremdenfeindliches Motiv erkennen konnte (oder wollte)? – "Es werden auch blonde blauäugige Menschen Opfer von Gewalttaten, zum Teil sogar von Tätern, die möglicherweise nicht die deutsche Staatsangehörigkeit haben."

Wir haben keine Alternative zu den derzeitigen Reformen.
Diese Lüge ist ebenso dreist wie die vorherigen. Natürlich gäbe es Alternativen, die sind aber weder von der Wirtschaft noch von der Politik gewollt – wobei das Erstere das Letztere bedingt. Stichwort Bürgergeld: Der gesamte Transfer an Sozialleistungen liegt in Deutschland bei jährlich rund 800 Milliarden Euro. Das würde genügen, um jedem Bürger vom Säugling bis zum Greis monatlich um die 800 Euro auszuzahlen und ihn damit vom Arbeitsmarkt unabhängiger zu machen. Anstelle der Besteuerung von Einkünften könnte eine Maschinensteuer eingeführt werden. Denkbar wäre auch eine – möglicherweise unter ökologischen Aspekten gestaffelte – höhere Besteuerung von Konsumgütern. Und das sind mitnichten Hirngespinste irgendwelcher linker Spinner, Ökofreaks oder kiffender Sandalenträger, sondern fundierte Vorschläge von Wirtschaftswissenschaftlern und sozial eingestellten Unternehmern – beispielsweise von Götz Werner, dem Chef der dm-Drogeriemarktkette. Dass ein solcher Vorschlag den meisten Unternehmen indes ein Dorn im Auge sein dürfte, ist verständlich, würde doch die Einführung eines Bürgergeldes die Arbeitnehmer plötzlich mit ihnen auf Augenhöhe bringen. Dabei würde ein Bürgergeld nicht nur für Konsumenten sorgen; durch die geringere Abhängigkeit vom Arbeitsmarkt könnten nicht wenige auf die Idee kommen, sich sozial oder kulturell zu engagieren, was ihnen vorher aus finanziellen und/oder zeitlichen Gründen nicht oder nur eingeschränkt möglich war – von einer gesicherten Familienplanung ganz zu schweigen. Mit Kopfschütteln registriert man, dass selbst ansonsten intelligente und aufgeschlossene Politiker bei diesem Thema die Realität von fünf Millionen Arbeitslosen (und das Grundbedürfnis der allermeisten Menschen, etwas Sinnvolles zu tun) ausblenden; als Gernot Erler auf das Thema "Bürgergeld" angesprochen wurde, sagte er ganz entsetzt: "Um Himmels willen, da würde ja keiner mehr etwas tun wollen!" Ja, wo denn in Zukunft auch, ist doch das Rationalisierungspotenzial bei weitem noch nicht ausgeschöpft! Es gab ja einmal die Idee, den Menschen durch Rationalisierung vom Joch der Arbeit zu befreien. Zugegeben, bis zu diesem Punkt scheint das ja recht gut zu klappen, aber hat sich schon jemand die Frage gestellt, wovon die Menschen leben – und wovon sie all die schönen, vollautomatisch hergestellten Konsumgüter kaufen sollen?

Nachtrag: Nachdem dieser Artikel fertig war, erschien im Stern Nr. 17/2006 ein Interview mit Götz Werner, in dem er genau das auf den Punkt brachte, was ich einige Absätze weiter auch schon geschrieben hatte: "Es gibt keine Wirtschaftskrise." Übrigens spricht er von einem Bürgergeld in einer Höhe von bis zu 1500 Euro.

Es ist erschreckend, wie die Medien in kollektiver Einigkeit – es möchte einem fast das Wort "Gleichschaltung" entschlüpfen – auf die Linie der Neocons eingeschwenkt ist. Regelmäßig hagelt es Schelte auf die Gewerkschaften, die wegen ein paar lächerlicher Minuten Arbeitszeitverlängerung das halbe Land lahmlegen.  Auch streikende Ärzte nimmt man gerne ins Visier, die schier die Patienten sterben lassen, weil die Herren Halbgötter (bzw. Damen Halbgöttinnen) Angst haben, sie könnten sich nicht mehr jedes Jahr einen neuen Mercedes kaufen. Um was es wirklich geht, interessiert nicht oder nur am Rande, das gibt keine griffigen Headlines her. Und dass die Pharmaindustrie sich in die schier unübersehbare Reihe der Rekordgewinnler einklinkt, während die medizinische Versorgung der Bevölkerung immer schlechter wird, steht natürlich auch in keinerlei Zusammenhang. Und das führt uns schon zur nächsten Lüge:

Wir brauchen Wirtschaftswachstum, damit neue Arbeitsplätze entstehen.
Rekordgewinne, so weit das Auge reicht. Ob Pharmaindustrie oder Energieversorger, ob Mineralölkonzerne oder die Post – überall herrscht Frohlocken, haben die Aktionäre Freudentränen in den Augen, fließt das Geld in Strömen. Während rundum immer neue Rekorde gebrochen werden ("Bestes Ergebnis seit Bestehen des Unternehmens"), scheint die Zahl der Arbeitsplätze in umgekehrter Relation zu den steigenden Gewinnen zu stehen. Alles, was mit einem Wirtschaftswachstum Schritt hält, ist der Ressourcenverbrauch und die Umweltbelastung. Ansonsten lautet das Motto "Arbeitsplätze? Nein danke!"
Nebenbei mag man sich fragen, ob die alleinige Ausrichtung auf Arbeitsplätze, mithin das, was die Politiker so nett als "Recht auf Arbeit" bezeichnen, überhaupt so sinnvoll ist, wie es zunächst erscheinen mag. Warum das nicht durch ein "Recht auf Existenz" ersetzen – losgelöst von der Erwerbsarbeit? Wo doch das "Recht auf Arbeit" immer mehr (zumindest für jene, die noch Arbeit haben) zur "Pflicht zur Ausbeutung" wird?
Was ist nun von der nächsten Aussage zu halten?

Die Lebenserwartung steigt; wer um die Jahrtausendwende geboren wurde, hat die besten Chancen, hundert Jahre alt zu werden – eine Katastrophe für die Rentenkassen.
Richtig ist, dass die Lebenserwartung steigt – sofern man den Durchschnittswert der Gesamtbevölkerung zugrunde legt. Wer indes arm ist, stirbt früher – daran hat sich bis heute nichts geändert. Mit der zunehmenden Armut in Deutschland sinken die Chancen für Arbeitslose und durch Hartz-IV-Verarmte rapide, sehr alt zu werden. Immer mehr Menschen, derzeit rund 200.000 in Deutschland, haben keine Krankenversicherung – das sind 12.000 mehr als 2003 und doppelt so viele wie 1995. Ärztepräsident Jörg-Dietrich Hoppe wies in einem Interview mit der Nachrichtenagentur AP darauf hin, dass Menschen mit geringem Einkommen im Schnitt sieben Jahre früher sterben als Wohlhabende. Der Krankenstand ist auf niedrigstem Niveau angelangt – nicht, weil die Menschen gesünder sind, sondern weil sie krank zur Arbeit gehen. Verdoppelt hat sich in den letzten Jahren übrigens die Anzahl der psychischen Erkrankungen. Kein Wunder angesichts drohender Zwangsumsiedelungen und Enteignungen durch Hartz IV. Dabei sollen diese Leistungen ohnehin noch weiter gekürzt werden, und Franz Müntefering hatte im Februar einen Gesetzesentwurf vorgelegt, demzufolge junge Arbeitslose unter 25 wieder bei ihren Eltern wohnen sollen bzw. erst gar keinen eigenen Hausstand gründen dürfen. Soviel zum Grundgesetz und dem Recht auf freie Entfaltung.
Unterdessen wird die Hetze gegen ALG-II-Empfänger auf höchster Ebene immer schlimmer – CSU-Generalsekretär Söder forderte lauthals härtere Sanktionen gegenüber ALG-II-Empfänger zur Durchsetzung eines Kombilohnmodells, der Baden-Württembergische Landwirtschaftsminister Hauk war der Ansicht, dass Arbeitslose "wieder das Bücken lernen" müssten, die Bundesregierung verlangt eine Überprüfung der Arbeitswilligkeit von Arbeitslosen. Es wird hierbei befürchtet, dass die angekündigten Trainingsmaßnahmen und Arbeitsgelegenheiten derart unzumutbar gestaltet sein könnten, dass zwangsläufig der Beweis für die Arbeitsunwilligkeit vieler Arbeitsloser erbracht wird und auf diese Weise eine Menge Geld gespart wird. In den vergangenen drei Monaten hat sich die Anzahl der Geringverdiener, die ergänzende Sozialleistungen auf der Basis von Hartz IV beziehen, um 50 Prozent auf 900.000 erhöht. Jürgen Gohde, Präsident des Diakonischen Werkes, rechnet unter Hinweis auf Daten der Bundesagentur für Arbeit mit zwei Millionen Beschäftigten, die Anspruch auf ergänzende Hartz-IV-Leistungen haben werden – auch sie sind alle Kandidaten für eine um sieben Jahre verringerte Lebenserwartung.

Es gibt keine Wirtschaftskrise!
Die Politik ignoriert vollkommen, dass wir uns nicht in einer "Wirtschaftskrise" befinden, wie häufig behauptet wird, sondern in einem Umbruch, der das gesamte gesellschaftliche und soziale Gefüge dergestalt verändert, dass dieses Land anschließend nur noch wenig Ähnlichkeit mit jenem der prä-neoliberalen Ära haben wird. Wohin die Reise genau geht, weiß man nicht. Auffallend ist indes, dass inzwischen in aller Öffentlichkeit Dinge ausgesprochen werden, die früher nicht über den Stammtisch hinausgekommen wären – und niemand scheint sich darüber aufzuregen. Wo bleibt der entsetzte Aufschrei, wenn die Bild-Zeitung den Rechtsausleger Arnulf Baring als "klügsten Kopf Deutschlands" präsentiert und ihm Raum gibt, seine Hetzparolen abzusondern? Wes Geistes Kind Baring ist, durfte er ja bereits 2003 als geladener Gast im öffentlich-rechtlichen Fernsehen darstellen, wo er im "Nachtstudio" des ZDF lauthals über den "Elan Adolf Hitlers" schwadronierte und den Enthusiasmus lobte, den der Gröfaz seinerzeit bei den Deutschen weckte: "Wenn auch nur ein Bruchteil dessen für die Bundesrepublik mobilisiert werden könnte, wären wir aus allen Schwierigkeiten raus!" Die Rechte ist wieder in den Parlamenten angekommen, und wäre sie nicht untereinander zu zerstritten, um eine Art "rechte Einheitsfront" zu bilden, wären ihre Chancen bei künftigen Wahlen sogar noch weitaus besser, denn mittlerweile sitzen in den Landesparlamenten "Sieger", die es mit gerade einmal 15 Prozent der Wählerstimmen geschafft haben, weil die Hälfte der Wahlberechtigten nicht zur Urne ging.
Die Politiker ficht dies indes nicht an: "Wir haben einen Auftrag von den Wählern bekommen", selbst wenn der Großteil der Wahlberechtigten ihnen durch Verweigerung des Kreuzchens jegliche Legitimation abspricht. Business as usual; lieber präsentiert man Sündenböcke für den Zustand dieses Landes; beliebt sind unter anderem jene fünf Millionen faulen Säcke, die durch Arbeitsverweigerung den Sozialstaat ruinieren.

Vogelgrippe-Gewinnler Donald Rumsfeld
Keine echten Reformen, kein Mut zu Veränderungen "zum Wohle des Volkes", statt dessen eine Politik der Repression, des Angstmachens, des Verschleierns.
Nehmen wir einmal ein simples Beispiel zur Vernebelungstaktik: Auch Deutschland plant die Einführung eines Tagfahrlichts. Das klingt zunächst einmal durchaus nicht negativ. Ist aber die Verkehrssicherheit der einzige Hintergrund? Tatsache ist, solange der Bestand von rund 50 Millionen Kraftfahrzeugen nicht auf ein spezielles Tagfahrlicht umgerüstet ist, wird der jährliche Treibstoff-Mehrverbrauch in Deutschland bei rund 750 Millionen Litern liegen. Das ist Sprit im Gegenwert von rund 900 Millionen Euro bei einem Steueranteil von über zwei Dritteln – somit für den Staat eine Mehreinnahme von über 600 Millionen Euro! Soll also keiner erzählen, es ginge dabei ausschließlich um unsere Sicherheit und Gesundheit!
Aber das sind im Grunde Bagatellen gegen die anderen Methoden – der Repression und dem Schüren von Ängsten: Wenn die Bürger nicht lückenlos überwacht werden, fallen sie Kriminellen zum Opfer. Wenn die Bundeswehr nicht bei der WM eingesetzt werden darf, fallen Unschuldige Terroranschlägen zum Opfer. Auch die Agentur für Arbeit hat die politische Vorgabe, Druck auf die Arbeitslosen zu machen. Konkret sieht das so aus, dass – viele Arbeitslose können das bestätigen – in den hoffnungslos überlasteten und personell unterbesetzten Agenturen immer wieder Unterlagen verschütt gehen, die termingerecht abgegeben wurden. Schuld ist grundsätzlich der Arbeitslose, denn der bekommt gleich nach Verstreichen des Termins ein Schreiben, in dem die Kürzung der Leistungen angedroht wird, falls die Pflicht zur Mitarbeit weiterhin verweigert wird. Die Hintergründe der derzeitigen Panikmache wegen der Vogelgrippe sind aber wohl weniger politischer als kommerzieller Natur (wobei das mittlerweile kaum noch zu trennen ist); so wurde der Ladenhüter "Tamiflu", nicht zuletzt durch die groß angelegte, von George W. Bush initiierte globale Panikmache, zum Renner. Gefreut darüber haben sich Tamiflu-Entwickler Gilead Science, Lizenznehmer Roche sowie Donald Rumsfeld, ehemaliger Aufsichtsratsvorsitzender von Gilead und nach wie vor Großaktionär des Unternehmens. Was für ein Zufall! Ob Tamiflu im Falle einer theoretischen Mutation des Virus tatsächlich irgendeinen Nutzen bringt, weiß niemand. Ein weiterer lustiger Zufall ist übrigens der Ausbruch des (schon seit hundert Jahren bekannten) Virus auf Rügen. Für Vogelkundler war dies in keiner Weise nachvollziehbar. Erstaunlicherweise liegt aber wenige Kilometer vor Rügen das Inselchen Riems – der Einheimischen auch als "Seucheninsel" bekannt. Dort forscht das Friedrich-Löffler-Institut eifrig an Impfstoffen gegen die Vogelgrippe. In Deutschland ist das Impfen von Vögeln gegen das H5N1-Virus verboten, da sich geimpfte Tiere nicht von solchen unterscheiden lassen, die sich in freier Wildbahn angesteckt haben. Das Institut führte eine Notfallübung durch; laut Szenario wurde ein massiver Ausbruch der Vogelgrippe angenommen. Wenige Tage nach dieser Übung fand man die ersten toten Vögel auf Rügen.

Ist die Destabilisierung der Gesellschaft gewünscht?
Wir werden belogen, aber wen interessiert das? Die Arbeitslosigkeit wird nicht mehr sinken, die vorhandenen Arbeitsplätze sind nicht mehr sicher. Die Erwerbsarbeit ist ein Auslaufmodell. Der amerikanische Konzernberater Jeremy Rifkin brachte das ganz klar in einem Interview mit der Stuttgarter Zeitung auf den Punkt: "Ich verdiene einen Teil meines Einkommens damit, die Chefs großer Konzerne zu beraten. Wenn ich die frage, ob sie in Zukunft noch Zehntausende von Mitarbeitern haben werden, dann lachen die laut los. Die Wirtschaftsführer wissen längst, wo die Reise hingeht."
Die Politik dient nicht dazu, unseren Lebensstandard zu verbessern oder für das Wohl der Menschen zu sorgen, sondern ausschließlich noch dazu, das Kapital weiter zu bereichern. Die technischen Entwicklungen der letzten Jahre werden bewusst dazu eingesetzt, die Gesellschaft zu unterwandern und zu destabilisieren. Mitmenschlichkeit, Solidarität, Familie, Kultur, ja, das Leben eines jeden werden zu Opfergaben auf dem Altar der Shareholder Value.

In Diskussionen begegnet mir immer wieder das Argument, es werde wohl alles nicht so schlimm kommen, denn auch die Konzerne seien auf die Verbraucher angewiesen, eine zu hohe Zahl von Arbeitslosen würde zur Überproduktion und damit zu sinkenden Gewinnen führen. In der Tat hatte ja schon Karl Marx darüber spekuliert; was er allerdings nicht voraussehen konnte war, welche Richtung die technische Entwicklung dereinst einschlagen würde, galt doch vieles, was heute unseren Alltag bestimmt, noch vor zwanzig Jahren als Science Fiction. Grundsätzlich ist die Möglichkeit nicht auszuschließen, dass das gesamte System irgendwann zusammenbricht. Ob sich dadurch die Besitz- (und damit die Macht)verhältnisse grundlegend ändern lassen können, ist aber durchaus fraglich, da sich die Tendenz zur Totalüberwachung der Bevölkerung mehr und mehr verstärkt. Auch hier wurde die einschlägige Science Fiction-Literatur von der Wirklichkeit eingeholt. Eine weitere Option wäre ein Krieg. Ebenfalls nicht unwahrscheinlich angesichts der weltpolitischen Lage.
Auch wenn es die "Verbraucher" im heutigen Sinne nicht mehr geben wird, werden wir doch alle von den Konzernen abhängig sein – ihre Angebote werden dann eben auf die reiche Minderheit einerseits und auf die elementare Grundversorgung der armen Majorität andererseits zugeschnitten sein. Ein Entkommen aus dieser Abhängigkeit dürfte sich dann extrem schwierig gestalten. Wer glaubt, sich mit einem eigenen Acker durchschlagen zu können, wird enttäuscht werden, wenn sein Autarkiewunsch mit gentechnisch verändertem Saatgut konterkariert wird. Unter dem Vorwand, besonders robustes Getreide zu erzeugen, laufen schon jetzt Versuche, arme Länder von einigen wenigen Saatgutherstellern abhängig zu machen. In der Tat erzielt man mit dem Getreide selbst mit problematischen Böden gute Erträge und erweist es sich als resistent gegen Insektizide, es lässt sich aber nicht für eine erneute Aussaat verwenden, da es steril ist. Somit ist man bei jeder neuen Aussaat auf das Saatgut des betreffenden Herstellers angewiesen. Logisch, da es ihm nicht darum geht, den Hunger in der Welt zu bekämpfen, sondern maximale Profite zu machen. Nebenbei gibt es bislang keinerlei gesicherte Erkenntnisse darüber, ob die Einbringung gentechnisch veränderter Nahrungsmittel in den menschlichen Stoffwechsel Risiken birgt.

In einer destabilisierten, überwachten Gesellschaft, die jeglicher Solidarität verlustig gegangen ist, wird sich kaum Widerstand gegen solche Entwicklungen regen. So liegt eben – siehe oben – der Verdacht nahe, dass diese Destabilisierung nicht nur in Kauf genommen wird, sondern sogar gewünscht ist. Die wachsende Angst in der Bevölkerung, egal ob es um den Arbeitsplatz, Terroristen oder die Vogelgrippe geht, macht diese gefügig, sie wird sogar jeden scheinbaren Versuch, für ihre Sicherheit zu sorgen, begrüßen: Repressalien gegen Arbeitslose sichern das eigene Einkommen, Kriege sichern die Energieversorgung, Überwachung sichert das eigene Leben. Und, nun ja, Tamiflu sichert immerhin das Einkommen von Ronald Dummsfeld, Verzeihung, Donald Rumsfeld. Führt man das konsequent fort, kann man durchaus an den Punkt kommen, wo die Leute begeistert Schlange stehen, um sich einen RFID-Chip unter die Haut setzen zu lassen, mit dem man außer der "Sicherheit" auch noch Prozente bei Ikea und Wal-Mart bekommt. Technisch ist das überhaupt kein Problem – die US-Firma Applied Digital Solutions hat einen solchen Chip bereits 2003 auf den Markt gebracht.

Zitieren wir also ohne weiteren Kommentar noch eine Lüge, die jeder Politiker vor seinem Amtsantritt aussprechen muss, ohne rot zu werden – vermutlich die einzige Kompetenz, die noch gefragt ist: "Ich schwöre, dass ich meine Kraft dem Wohle des deutschen Volkes widmen, seinen Nutzen mehren, Schaden von ihm wenden, das Grundgesetz und die Gesetze des Bundes wahren und verteidigen, meine Pflichten gewissenhaft erfüllen und Gerechtigkeit gegen jedermann üben werde. So wahr mir Gott helfe."

21_04_06

 

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