Alles wird gut!

© Eric Fricke

Und nun schließen Sie die Augen. Entspannen Sie sich. Ihr ganzer Körper wird warm und schwer. Sprechen Sie mir nach: "Alles wird gut!" Wiederholen Sie das so lange, bis Ihnen die Worte wie eine Ansammlung sinnloser Silben vorkommen. Dann haben Sie das Nirwana erreicht. Om.

Vor einiger Zeit schrieb ich, dass sich die Wirtschaft schon auf die Ein-Euro-Jobs freue, und die Waldkircher SPD-Vorsitzende Sabine Wölfle schickte mir darob eine eMail, worin sie mir das Wesen der Ein-Euro-Jobs darlegte: Die gäbe es selbstverständlich nur im gemeinnützigen Bereich! Das ist natürlich vollkommen richtig. Fragt sich nur, wie lange noch: Schon legt die Landesregierung von Sachsen-Anhalt Pläne auf den Tisch, Ein-Euro-Jobs in der freien Wirtschaft zu schaffen. Nun, wenn die gesamte deutsche Wirtschaft davon profitieren könnte, ist das irgendwie ja auch gemeinnützig, oder? Sprechen Sie mir nach: Hartz IV ist gut. Om.

Sie kennen doch das berühmte Beispiel mit der vierköpfigen Familie in selbst genutzter Eigentumswohnung, 26.000 Euro auf der Bank, Auto im Wert von 5.000 Euro, die ohne Einschränkung ihr Arbeitslosengeld II entgegennehmen darf. Ist doch toll, oder? Ha, kein Wunder, dass der Kanzler so heftig gegen Kritiker vorgeht! Seht, Ihr Ignoranten: Hartz IV ist gut! Om.

Ja, Brüder und Schwestern – Verzeihung: Freunde und Nachbarn –, Hartz IV wird sogar schon in der Bibel erwähnt. Allerdings um den Kanzler zu widerlegen: "Denn wer da hat, dem wird gegeben; und wer nicht hat, von dem wird man nehmen auch was er hat." Markus 4,25, falls es Sie interessiert.

Denn was ist mit der vierköpfigen Familie, wenn sie in einer Mietwohnung mit 100 Quadratmetern lebt, keine Ersparnisse hat und – aus besseren Tagen – ein vier Jahre altes Auto im Wert von 8.000 Euro besitzt? Ja, dumm gelaufen. Da ist schon mal die Wohnung nicht angemessen, 90 Quadratmeter ist für so eine Familie mehr als ausreichend. Also Zwangsumzug in die Hochhaussiedlung aus den Sechzigerjahren, wo's billig ist. Die Umzugskosten übernimmt die Agentur für Arbeit. Der Wert des Autos liegt auch 3.000 Euro über der Freigrenze; ja, Leute, da kriegt Ihr halt vorerst mal kein Geld, bis die Differenz ausgeglichen ist. Womöglich Schulden? Interessiert die Agentur für Arbeit nicht – die will nur wissen, was an Guthaben da ist. Dann sitzen dann die Leute in ihrem Hochhaus-Hasenstall und auf dem Parkplatz steht ein rostiges Moped – denn vom Verkaufserlös des Autos mussten nicht nur die Schulden bezahlt werden, nein, man musste auch noch davon leben. Aber Pfui, wer hat denn hier "sozialer Abstieg" gesagt? Wie gesagt, wer hat, dem wird gegeben, das rechnet auch der Deutsche Mieterbund vor: "Während bei einer arbeitslosen 40-Jährigen mit einem Kind, die in der eigenen Eigentumswohnung (Verkehrswert rund 130.000 Euro) lebt, Vermögenswerte in Höhe von rund 150.000 Euro unangetastet bleiben, darf eine 40-jährige Mieterin mit 1 Kind lediglich 20.850 Euro behalten, wenn sie ALG II beansprucht."

Nebenbei erwartet der Deutsche Mieterbund 100.000 Umzüge wegen Hartz IV, der Vorsitzende Franz-Georg Rips warnt vor einer drohenden "Gettoisierung". Auch sei oft ein Umzug innerhalb der geforderten sechs Monate nicht möglich, weil der Mietvertrag andere Kündigungsfristen vorsehe. Die Diakonie sieht das ähnlich, nur befürchtet man weniger ein Abwandern von Arbeitslosen in Gettos, sondern deren Verbleib unter Brücken. Frieder Claus, Referent für Wohnungslosenhilfe der württembergischen Diakonie, berichtete von einer Untersuchung der Mietkosten in elf Kreisen. Dabei stellte sich heraus, dass in zehn Kreisen die Mietobergrenze nicht gedeckt war, mithin einer vierköpfigen Familie jeden Monat 217 Euro fehlten: "Viele Sozialämter haben ihre Mietobergrenzen seit 2000 nicht angepasst."

Heftig abwinkend stürmen da die Politiker herbei: Um Himmelswillen, alles halb so wild! Wegen zwei oder drei Quadratmetern gäbe es doch da kein Problem, und wer sein Auto schon etwas länger besäße, na, da könne man doch mal ein Auge zudrücken, nicht wahr?

Na, Verzeihung, Herrschaften, aber genau so wurde das doch abgesegnet! Wenn das alles ach so unverbindlich und dem Augenmaß der Mitarbeiter der Agentur für Arbeit überlassen ist – heißt das dann, dass man auf Gedeih und Verderb deren Gnade oder Ungnade ausgeliefert ist? Nach dem Motto "der Typ passt mir nicht, ich glaube, ich werde ihm sein Auto anrechnen"? Wozu braucht man dann Gesetze? Aber alles wird gut – bald kommt der Aufschwung und mit ihm die Arbeitsplätze. Om.

Während bei Opel noch über Aufhebungsverträge diskutiert wird, sind andere Unternehmen schon weiter: Der Bauer-Verlag, so Geschäftsleiter Matthias Körner, sei mit dem Ergebnis des Jahres 2004 "sehr zufrieden". Dennoch sollen 500 Mitarbeiter gefeuert werden. Die Deutsche Bank will weltweit 4.000 bis 6.000 Stellen streichen, davon alleine 2.000 in Deutschland. Auch die Walter Bau AG ist auf Sparkurs; 40 bis 60 Millionen Euro wolle man 2005 einsparen, auch mit der Streichung von Stellen. Dito bei VW – alleine in Wolfsburg könnten in den nächsten Jahren 4.000 Arbeitsplätze wegfallen, denn VW hatte 2004 deutlich weniger Gewinn gemacht als geplant. "Kein Anschluss unter dieser Nummer" könnte das Motto der Deutschen Telekom sein: Seit 2002 hatte der Konzern weltweit 55.000 Stellen abgebaut, für 2006 und 2007 werden etwa 20.000 weitere folgen. Noch ist nicht klar, inwiefern Deutschland von dieser Maßnahme betroffen sein wird; sicher ist, dass sich in der Mobilfunksparte insgesamt 2.200 Mitarbeiter, davon 1.200 in Deutschland, einen neuen Job suchen dürfen. Fragt sich nur, wo. Dennoch ist die Bundesregierung zuversichtlich, dass die Arbeitslosenzahlen für Januar und Februar unter fünf Millionen liegen werden. Nach den offiziellen Statistiken liegt die Arbeitslosigkeit in der EU derzeit bei 8,9 Prozent. Das sind 19,1 Millionen Menschen. Rechnen Sie, falls Sie Lust haben, mal die mitbetroffenen Familienmitglieder dazu. Om.

Da ist es nur ein schwacher Trost, wenn man liest, wie sich die Reichen gegenseitig bescheißen. Überschrift im Manager-Magazin online: "Vermögensmanager: Banken beraten Reiche schlecht".

24_01_05

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