Gewinne statt Arbeitsplätze

 

© Eric Fricke

Alles legal
Ein Wirtschaftswachstum, so hatte ich immer in meiner grenzenlosen Naivität geglaubt, entstehe dadurch, dass die Unternehmen Gewinne machen. Dann verdienen deren Angestellte mehr und geben ihr Geld fleißig aus, wodurch, wegen der höheren Nachfrage, mehr produziert wird, was wiederum die Gewinne der Unternehmen steigen lässt. Folglich müssten wir derzeit ein Wachstum haben wie zu Zeiten des zigarrerauchenden Kanzlers. Nein, nicht Schröder, sondern Erhard. Und die Unternehmer müssten händeringend auf den Fluren der Arbeitsämter – Verzeihung, Agenturen für Arbeit – stehen, um einen der wenigen Arbeitslosen zu ködern.

Rekordgewinne, soweit das Auge reicht. Bei den in Deutschland an der Börse notierten Unternehmen nahm der Kassenbestand 2004 um zehn Milliarden auf 100 Milliarden Euro zu. DaimlerChrysler hatte 2005 erstmals über vier Millionen Fahrzeuge verkauft, Volkswagen gar 5,24 Millionen. Beide Konzerne gehören damit zur Weltspitze, was die Mercedes-Gruppe allerdings nicht daran hindert, bis Ende September 8500 Mitarbeitern einen Tritt in den Hintern zu geben, denn dies diene, so Personalvorstand Günther Fleig, der "Verbesserung der Wettbewerbsfähigkeit".

Reifenhersteller Continental durfte 2005 satte Gewinne einstreichen. Dabei wird es, so Finanzvorstand Alan Hippe, auch 2006 bleiben: Man sehe sich "für ein weiteres Rekordergebnis gerüstet". Das allerdings wird den Konzern wohl nicht daran hindern, das Reifenwerk Hannover Ende 2006 zu schließen, denn die Personalkosten liegen bei der Reifenherstellung in Westeuropa bei 30 Prozent, in Rumänien hingegen bei 10 Prozent. Zitat Hippe: "Wir können nicht unsere Wettbewerbsfähigkeit aufs Spiel setzen, nur um patriotisch zu sein."

Rekordgewinne bei Thyssen-Krupp, Rekordgewinne bei der Telekom. Letztere will bis Ende 2008 insgesamt 32.000 Mitarbeiter feuern. Das wird mit Sicherheit die Aktionäre freuen, denn Stellenstreichungen werden regelmäßig mit Kursgewinnen honoriert. Unter Klaus-Peter Müller wurde die Commerzbank 2005 zur zweitgrößten deutschen Bank ausgebaut. Über die Vorwürfe, er sei in Osteuropa für illegale Geldwäsche-Geschäfte verantwortlich gewesen, schweigt man sich angesichts solcher Erfolge lieber aus. Die Deutsche Post, ehemals maroder Staatskonzern, sackt alljährlich Milliarden ein und hat es im Logistikgeschäft an die Weltspitze gebracht. TUI ist mittlerweile der weltgrößte Touristikkonzern. Zwar liegen die Gewinne unter der Milliardengrenze, aber sie wachsen stetig. Edeka, mittlerweile Deutschlands Nummer eins unter den Lebensmittelhändlern, baute 2005 den Umsatz auf 37 Milliarden Euro aus – da sollte auch der eine oder andere Euro Gewinn hängengeblieben sein, zumal in den SPAR-Filialen 1300 Arbeitsplätze in den Ausverkauf kamen.

Aber heul, schluchz, den Konzernen geht es ja in Deutschland so schlecht! Ja, es kommt sogar gelegentlich vor, dass sie – welche Unverschämtheit! – Steuern zahlen müssen, nur weil sie die Gewinne nicht rechtzeitig ins Ausland verschoben haben! Immer haut man auf die armen Manager ein! Purer Sozialneid schlägt ihm entgegen, wenn sich Adidas-Vorstand Herbert Hainer sein Gehalt um läppische 89 Prozent erhöht, immerhin hat er dafür ja auch etwas getan, zum Beispiel die Firma Salomon verkauft und damit 160 Arbeitsplätze vernichtet.

Keine Aufregung, bitte! Das läuft alles im Rahmen der bestehenden Gesetze! Es ist auch völlig legal, jahrelang mit Millionenbeträgen zum Arbeitsplatzerhalt subventioniert zu werden und dann ein Werk mit 750 Mitarbeitern zu schließen – siehe Samsung in Berlin.

Dass das alles legal ist, bedeutet aber nicht zwangsläufig, dass in den Konzernzentralen lauter gesetzestreue Bürger sitzen. Laut Oberstaatsanwalt und Korruptionsexperte Wolfgang Schaupensteiner lag der Schaden durch Wirtschaftskriminalität 2004 bei über fünf Milliarden Euro – Steuerhinterziehung nicht eingerechnet. Die liegt bei jährlich etwa 70 Milliarden Euro. Es gibt Wirtschaftsinstitute, die – in Anbetracht der hohen Dunkelziffer – den jährlichen Gesamtschaden der Wirtschaftskriminalität auf 350 Milliarden Euro schätzen. Solche Zahlen sind naturgemäß schwer verifizierbar, aber selbst wenn die Wahrheit nur bei einem Zehntel dieser Summe läge, entspräche sie etwa dem aktuell aufgefundenen Haushaltsloch der Bundesrepublik.

Geld statt Mensch im Mittelpunkt
Fassen wir zusammen: In den vergangenen vier Jahren sind fast 1,5 Millionen sozialversicherungspflichtige Arbeitsplätze verlorengegangen. Die Staatsverschuldung betrug am 9. Januar 2006 um die Mittagszeit 1.469.389.200.418 Euro, was nicht so einfach von der Website des Bundes der Steuerzahler abzuschreiben war, da die Summe sekündlich um 1.714 Euro ansteigt – das liegt vor allem an den Zinsen, für die der Bund inzwischen 15 Prozent seiner Ausgaben aufwenden muss. Die Binnennachfrage schrumpft. Die Inflationsrate ist auf vier Prozent geklettert; auch, aber nicht nur wegen der steigenden Energiepreise. Wer noch Arbeit hat, für den existiert die 38,5- oder gar 35-Stunden-Woche nur noch auf dem Papier – mittlerweile liegt die durchschnittliche Arbeitszeit in Deutschland bei 41 Stunden.

Was unternimmt nun die Politik, sofern sie überhaupt noch etwas zu melden hat? Sie beschafft Geld, denn (das weiß auch der Volksmund): Ohne Moos nix los. Beschafft wird das Geld da, wo der wenigste Widerstand zu erwarten ist – also nicht bei Konzernen, die reflexartig mit weiterem Stellenabbau drohen würden. Diese unter der SPD ausgereifte Methode wird nun von der großen Koalition weitergeführt. Zur Gewissensberuhigung gibt es eine "Reichensteuer", die jene nicht schmerzt und dem Staat auch nicht viel weiterhilft. Viel effizienter ist es, dem einfachen Bürger die Pistole auf die Brust zu setzen, und damit er nicht auf dumme Gedanken kommt, wird er rundum überwacht.

Ein Rückblick auf die große Koalition von 1966: "Das ist die Erklärung einer Regierung, die nicht aus einem glänzenden Wahlsieg, sondern aus einer von unserem Volk mit tiefer Sorge verfolgten Krise hervorging. Aber gerade diese Tatsache verleiht ihr ihre Kraft: zu entscheiden, was entschieden werden muss, ohne Rücksicht auf ein anderes Interesse als das des gemeinen Wohls." Hehre Worte von Bundeskanzler Kurt Georg Kiesinger. Solch' Pathos lockt heute natürlich keinen Hund mehr hinter dem Ofen hervor (was in Hinblick auf Kiesingers Nazi-Vergangenheit auch kaum einer bedauern mag), aber es ist schon anschaulich, wie sich die Zeiten geändert haben: Damals standen in solchen Reden (zumindest der Form halber) noch der Mensch und die Gesellschaft im Mittelpunkt, heute redet ein Politiker nur noch von Wirtschaftswachstum und Haushaltssanierung daher. Wenn dafür diejenigen, die es sich leisten könnten, kein Geld herausrücken, wird beim Rest fleißig gekürzt. Wer wehrt sich am wenigsten? Also runter mit den Sozialausgaben! Die Sparvorgaben beim Arbeitslosengeld II liegen 2006 bei drei Milliarden Euro, 2007 bis 2009 sollen weitere vier Milliarden gestrichen werden. Sollen doch die Eltern für ihren arbeitslosen Nachwuchs blechen. Und wehe, die Gören wollen selbstständig werden – die sollen gefälligst bei ihren Alten die Füße unter den Tisch strecken! Das hat man gerne – mit 30 ausziehen, um Stütze kassieren zu können! Das Kindergeld wird sowieso nur noch bis zum 25. Lebensjahr bezahlt (wenn auch ab dem 18. Lebensjahr künftig nur noch unter erschwerten Bedingungen), das sollte (auch in Verbindung mit den Studiengebühren) Anreiz genug sein, dass die Gören ihr Studium frühzeitig beenden. Immerhin trägt ja auch der Staat mit der Einführung des Turbogymnasiums dazu bei, dass früher studiert werden kann. Freilich, die Schule muss in ihrem Auftrag etwas schlanker und effizienter werden, aber so schwierig kann das ja auch nicht sein. Solch überflüssiger Ballast wie die Vermittlung von Sozialverhalten und Konfliktlösungen kann getrost über Bord. Wer dafür zu sensibel ist, passt ohnehin nicht in unsere schöne neue Welt. Wozu gibt es die Realschule? Und wenn die Realschulen von den Versagern von den Gymnasien überquellen, mag sich der Bodensatz meinetwegen in der Hauptschule sammeln.

Sie finden, das sei reichlich hart formuliert? Politik und Wirtschaft finden da noch ganz andere Bezeichnungen, wenn es darum geht, die angeblich Schuldigen an der Misere zu finden: Wer es wagt, die bestehenden Gesetze bis an ihre Grenzen auszunützen (und in Einzelfällen vielleicht auch darüber hinaus, weil ihm das Wasser bis zum Halse steht), um trotz Hartz IV halbwegs über die Runden zu kommen, ist, ganz im Geiste nationalsozialistischen Vokabulars, ein Parasit, ein Schmarotzer. Das stand in einer von Wolfgang Clement abgesegneten Broschüre, die den Leistungsmissbrauch bei Hartz IV anprangerte. Dass es den gibt, ist ja unbestritten. Aber darüber, dass die eigentlichen Schmarotzer in diesem Lande – um das Wort nun doch einmal aufzugreifen – in den Konzernzentralen sitzen, findet man in der Broschüre nichts. Unter Regierungsbeschuss sind übrigens auch Broschüren verschiedener Organisationen geraten, die ALG II-Empfängern Hilfestellung geben sollen. Ja, es ist wirklich unverschämt, sich über seine Rechte informieren zu wollen. Davon, dass die Regierung gegen die Verbreitung von Steuerratgebern gewettert hat, war bislang nichts zu hören.

Um aber noch einmal auf die Schule zurückzukommen: Die verkürzte Schulzeit soll ja auch durch verstärkte Förderung im Kindergarten kompensiert werden. Freilich taugen dazu die bisherigen, völlig unqualifizierten staatlich anerkannten Erzieherinnen und Erzieher mit ihren läppischen vier Jahren Ausbildung nicht, da soll in Zukunft gefälligst anständiges Fachpersonal mit Studium her. Mein Vorschlag: Die Kindergärten könnten arbeitslose Hochschullehrer einstellen, natürlich nur zum normalen Erziehergehalt. Das reicht zwar nicht zum Leben, aber man kann ja abends in der Kneipe noch ein paar Stunden bedienen. Da geht der Trend sowieso hin: Mehrere Jobs, weil einer hinten und vorne nicht reicht.

Weltfremde Ideen und Entscheidungen
Wie denn auch, wenn der Staat dem einfachen Bürger ohne Ende in die Tasche greift? Wie ich in einem früheren Artikel schon lang und breit ausgeführt habe, wurde unter dem Vorwand, es träfe ja nur die Besitzer von Luxusgeländewagen, die Gewichtsbesteuerung von als PKW zugelassenen Nutzfahrzeugen abgeschafft. Herzlichen Dank nach Berlin – jetzt habe ich ein Auto, das in die Garage passt! Glücklicherweise hatte ich damals den Lieferwagen nicht zum Wohnmobil umgebaut, denn trotz aller gegenteiligen Beteuerungen sollen Wohnmobile jetzt ebenfalls nach Hubraum und Schadstoffausstoß besteuert werden. Das hat noch einen praktischen Zusatznutzen: Die Wagenburgler, die sich einen alten Laster als Heimat auserkoren hatten, werden unter dem Druck, für ihr Gefährt plötzlich mehr als für einen Sattelschlepper zahlen zu müssen, wieder zu anständigen Mitgliedern der Gesellschaft, indem sie eine Wohnung beziehen. Sollte das nicht reichen, wird eben die Mautpflicht ausgedehnt: Der CDU genügt es nicht, dass LKW erst ab 12 Tonnen Gebühren zahlen und fordert eine Absenkung der Gewichtsgrenze auf 7,5 Tonnen. In der Diskussion, aber leider, leider derzeit ohne Mehrheitsfähigkeit, war auch die Mautpflicht ab 3,5 Tonnen. Vielleicht ist da dem einzig intelligenten Diskussionsteilnehmer eingefallen, dass sich dann jeder private Kunde eines Autovermieters und jeder Handwerker, der eine Kiste fährt, die geringfügig über VW-Bus-Größe liegt, mit einer On-Board-Unit herumplagen und auf jedem Meter Autobahn überwachen lassen muss – von den Kosten mal abgesehen.

Immer feste druff: Horst Seehofer forderte im Juli 2005, Arbeitslosengeld I nur zu genehmigen, wenn der Arbeitslose zuvor mindestens zehn Jahre Arbeit hatte. Auch kursierte schon der Vorschlag, das Arbeitslosengeld II in Westdeutschland auf das Niveau der neuen Bundesländer zu senken. Politiker müsste man sein: Finanziell ist man fein abgesichert, und keiner hindert einen daran, nach dem Motto "Esst doch Kuchen" dumm daherzuschwätzen. Als Landtagsabgeordneter in Stuttgart, das wär's! Dort fordert man nämlich eine automatische Diätenanpassung entsprechend der Lebenshaltungskosten, natürlich unter Einbeziehung der Kostenpauschalen. Der Vorteil ist – angesichts der bereits erwähnten Inflationsrate – nicht nur finanzieller Natur, man hat auch seine Ruhe vor öffentlichen Debatten, da die Volksvertreter dann nicht mehr in regelmäßigen Abständen öffentlich über ihr Salär diskutieren müssten.

Während der gemeine Bürger den Gürtel enger schnallt, jettet unser Ex-Kanzler Armani Schröder zwischen Russland und der Schweiz hin und her, um seine Nebenbeschäftigungen unter einen Hut zu bekommen. Und nach wie vor ist die Frage offen, ob sein Zusatzverdienst mit seiner Pension verrechnet wird, wie das bei jedem pensionierten Briefträger der Fall ist, der donnerstags ein Anzeigenblatt austrägt. Aber für so manchen Blödsinn scheint ja noch genug Geld da zu sein – zum Beispiel für die Anpassung von Fahrzeugpapieren an die neuen EU-Richtlinien.

Um meinen "neuen" Gebrauchtwagen zuzulassen, war ich nämlich nach Emmendingen zur Zulassungsstelle gefahren. Die zuständige Sachbearbeiterin knallte mir als erste Amtshandlung einen großen "Ungültig"-Stempel in den Fahrzeugbrief, denn: "Es gibt jetzt neue EU-Fahrzeugbriefe." Ich bekam den alten Brief mit den neuen Papieren (dabei auch ein neuer EU-Fahrzeugschein) und den Worten zurück: "Vom alten Fahrzeugbrief machen Sie sich bitte eine Fotokopie von der Seite mit den technischen Daten und führen diese dann zusammen mit dem neuen Fahrzeugschein mit sich." Sollte das ein Witz sein? Leider nicht, denn in den neuen Papieren stehen wichtige technische Daten schlicht und einfach nicht mehr drin. Zum Beispiel alternative Felgen oder Reifengrößen. Ist das Auto solchermaßen ausgestattet, hat die Polizei anhand des Fahrzeugscheins keine Möglichkeit mehr nachzuprüfen, ob die betreffenden Zubehörteile überhaupt zulässig sind. Die Beweislast liegt zwar bei der Polizei, das heißt, sie muss dem Fahrer nachweisen, dass er z.B. mit unzulässigen Felgen unterwegs ist, aber um unnötige Scherereien zu vermeiden, sollte man die Kopie des alten Fahrzeugbriefs vorweisen. Nebenbei sind im EU-Fahrzeugbrief bei Gebrauchtfahrzeugen die Vorbesitzer nicht mehr vollständig aufgelistet. Welch ein Fortschritt! Man möchte gar nicht wissen, was dieser Unfug wieder gekostet hat! Das heißt, wissen möchte man es eigentlich schon, schließlich ist auch das ein Beitrag zu den jährlich staatlicherseits verschwendeten 30 Milliarden Euro. Rechnen wir noch die erwähnten 70 Milliarden an Steuerhinterziehung dazu sowie geschätzte 50 Milliarden an von Unternehmen legal hinterzogenen Steuern – beispielsweise, wenn Gewinnen ein Erholungsurlaub in einem Steuerparadies gegönnt wird –, liegen wir bei 150 Milliarden Euro im Jahr.

Aktuell beschlossene Ungerechtigkeiten
Investiert der Staat wenigstens auch in die Zukunft? Aber sicher doch! Stichwort "Elterngeld": Ist das denn keine großartige Sache? Sind Eltern damit nicht viel besser gestellt als mit dem bisherigen Erziehungsgeld? Freilich – vorausgesetzt, sie haben bisher gut verdient. 67 Prozent des letzten Nettogehaltes soll das Elterngeld ausmachen, bis zu einer Obergrenze von 1800 Euro. Geringverdiener bekommen einen noch zu ermittelnden Grundbetrag. Nichts Neues also – wer hat, dem wird gegeben.
Aber alles wird gut: 2006 wird die Binnennachfrage wieder steigen. Logisch, denn jeder, dem eine größere Anschaffung bevorsteht, wird sie in diesem Jahr tätigen, bevor 2007 die Mehrwertsteuer auf 19 Prozent steigt. Spätestens dann werden Arbeitslose und Rentner nach mehreren Nullrunden richtig in die Röhre gucken. Aber das sind ja ohnehin nur lästige, unproduktive Kostgänger, die es verdient haben, dass sie in drei bis vier Jahren real über zehn Prozent weniger in der Tasche haben als heute.
Überhaupt, die Rentner: Die sind ja so ein richtiges gesellschaftliches Problem, alleine schon durch die Tatsache, dass sie immer älter werden. Hm, war das nicht sogar einmal ein hehres gesellschaftliches Ziel, dass Menschen im Ruhestand länger leben und finanziell abgesichert sind? Aber wen interessiert schon irgendwelches Gutmenschengeschwätz aus den Siebzigerjahren. Ich möchte nicht wissen, wieviele Verantwortungsträger aus Politik und Wirtschaft der Ansicht sind, dass der Film "Soylent Green" einige durchaus gute Ansätze enthält...

Aber wir hatten ja von der Binnennachfrage gesprochen. Die Regierung will sie dadurch in Gang bringen, dass sie den Leuten das Geld wegnimmt. Oder so ähnlich. Auch den Arbeitslosen: Abfindungen und Übergangsgelder werden nun besteuert. Wer davon nach einem Jahr noch etwas übrig, aber keinen neuen Job hat, wird dann mittels Hartz IV enteignet. Da hilft dann auch kein Steuerberater mehr, den man als Privatmann ohnehin nicht mehr steuerlich geltend machen kann. Immerhin gibt es für die Arbeitslosen den Trost, dass sie den Weg zum Arbeitsplatz nicht selbst zu finanzieren brauchen, wie es bei denen, die noch in Lohn und Brot stehen, der Fall sein wird: Die Pendlerpauschale wird in Zukunft erst ab dem 21. Entfernungskilometer bezahlt. Der Werbungskostenabzug für ein häusliches Arbeitszimmer entfällt auch, es sei denn, es ist "Mittelpunkt der gesamten betrieblichen und beruflichen Tätigkeit". Da kann der Staat sicher eine Menge bei freiberuflichen Vertretern sparen, da bei denen der "Mittelpunkt der gesamten betrieblichen und beruflichen Tätigkeit" zweifelsfrei draußen beim Kunden liegt.

2007 sollen die Beiträge zur Arbeitslosenversicherung von 6,5 auf 4,5 Prozent gesenkt werden. Allerdings sollen gleichzeitig die Rentenversicherungsbeiträge von 19,5 auf 19,9 Prozent steigen. Das klingt plausibel, denn bekanntlich kommt dieses Jahr der große Aufschwung mit enorm sinkenden Arbeitslosenzahlen (Merke: Wenn es den Unternehmen gut geht, stellen die auch Leute ein. Vielleicht wird es vom vielen Wiederholen ja wahrer), womit man die Beitragssenkung praktisch zum Nulltarif bekommt. Nur die Rentner, die werden halt immer mehr und immer älter, und da es derzeit nach wie vor nicht einfach sein dürfte, ein Gesetz durchzubringen, nach dem jeder mit 65 erschossen wird, muss da eben der Beitrag steigen. Sollte hier einmal eine Senkung angekündigt werden, empfehle ich, Aktien von Lebensmittelkonzernen zu kaufen. Der Science-Fiction-Fan weiß Bescheid: Das wird spätestens 2022 der Fall sein...

Mit Energie zusammengerafft
Was nun die Konzerne mit ihrem ganzen zusammengerafften Geld machen, weiß man nicht so recht. Hier in Deutschland wird es jedenfalls nicht investiert, wie uns schon die Bilder der zusammenbrechenden Strommasten gezeigt hatten. Freilich kann man von der RWE nicht verlangen, dass sie alle drei Jahre neue Masten in die Gegend stellt, aber – mit Verlaub – etliche der betroffenen Masten stammten noch aus der Zeit, als man sich hierzulande als staatstreuer Bürger mit "Heil Hitler" begrüßte. Lediglich Masten, die aus der Zeit vor 1930 stammen, möchte die RWE austauschen. Nur am Rande: 2004 hatte der Konzern seinen Gewinn von 437 auf 925 Millionen Euro mehr als verdoppelt.

Zu meinen ganz speziellen "Freunden" unter den Energieunternehmen zählt aber die Badenova: Aus bislang ungeklärter Ursache hatte sich mein Gasverbrauch 2005 auf das zweieinhalbfache des normalen Durchschnittsverbrauchs erhöht. Ein Mitarbeiter erklärte mir telefonisch, dass es durchaus schon vorgekommen sei, dass ein Schornsteinfeger vergessen habe, ein Prüfventil zu schließen, was es größeren Gasmengen erlauben kann, peu à peu das Haus durch den Schornstein zu verlassen. Konkret nachzuweisen sei so etwas im Nachhinein aber fast nie, denn wenn der Kaminfeger das bei der nächsten Kontrolle bemerke, würde er das Ventil halt stillschweigend schließen: "Das würden Sie an seiner Stelle ja auch machen, oder?"

Auf mein Argument, dass das aber nicht mein Problem sein könne, ging er indes nicht weiter ein. Vermutlich kommt nun die Sache vor Gericht, da die Badenova bislang nicht willens ist, auf einen Vergleich einzugehen – es handelt sich immerhin um eine Nachzahlungsforderung von über 950 Euro für einen Zeitraum von zehn Monaten! Begründung: Addiert man das strittige Jahr mit dem Vorjahresverbrauch, liegt der Durchschnitt "nicht eklatant" höher als in den Vorjahren. Selbst wenn man dieser Milchmädchenrechnung folgt, bedeutet "nicht eklatant" eine Steigerung von satten 50 Prozent. Wie mir Stadtwerke-Chefin Gabriele Laxander erzählte, bin ich nicht der einzige, der sich mit der Badenova herumstreitet: Etliche Kunden, die ebenfalls zu den Stadtwerken gewechselt waren, hatten wegen zu hoher Verbrauchsschätzungen überhöhte Rechnungen bekommen. Ein Trost immerhin: Da ich kein Badenova-Kunde mehr bin, kann mir der Laden auch nicht – wie bereits schriftlich angedroht – das Gas abdrehen. Aber auch das nur nebenbei...

Ende der Arbeitsgesellschaft?
Wovon jedenfalls in Berlin keiner spricht – oder keiner zu sprechen wagt –, ist, dass wir derzeit möglicherweise den Anfang des Endes der Arbeitsgesellschaft erleben. Aber offensichtlich ist kein Politiker in der Lage, Begriffe wie beispielsweise "Maschinensteuer" oder "Bürgergehalt" in den Mund zu nehmen. Es werden völlig neue Ansätze benötigt, aber die Handlungsweise der Regierenden wird ausschließlich durch ein krampfhaftes Festhalten an den bestehenden Zuständen bestimmt. Hey, da hat jemand den Verbrennungsmotor erfunden? Prima, den könnte man doch verwenden, um bei einer Pferdekutsche die Peitsche anzutreiben!

Es gehört zum Wesen einer Demokratie, dass sich gesellschaftliche Entwicklungen im Wesentlichen nach den Bedürfnissen der Majorität richten. Es ist kaum anzunehmen, dass die derzeitigen Tendenzen von der Mehrheit der Bürger so gewünscht sein sollen.

Wenn die Politik aber nicht in der Lage ist, Lösungen für eine zukünftige Gesellschaft zu finden, werden sich die Veränderungen, bedingt durch Zwang zu immer höherer Effizienz und Angepasstheit schon im Kindesalter, zunehmende Armut und schrittweisen Abbau von Bürgerrechten, auf eine Weise manifestieren, die jedem Verantwortlichen, der noch über ein rudimentäres Gewissen verfügt, schlaflose Nächte bereiten müsste.

11_01_06

 

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